Im letzten Jahrzehnt veröffentlichte Rod Stewart nur noch Cover-Songs. Bald glaubte jeder, dass er einfach kein neues Album mehr schreiben könnte – auch er selbst. Bis ihn plötzlich wieder die Muse küsste.
Vor anderthalb Jahren habe ich Sie hier um die Ecke beim Hard Rock Calling im Hyde Park spielen sehen. Damals waren Ronnie Wood von den Rolling Stones und Stevie Nicks von Fleetwood Mac als Gäste mit dabei.
Oh ja, das war ein guter Gig. Aber Ronnie kam zu früh auf die Bühne, ich musste ihn wieder wegschicken. Ich sagte zu ihm: „Hau ab, ich habe dich noch nicht mal angekündigt!“ Denn er wanderte schon dort herum, als ich mit meinem Song noch nicht fertig war.
Was gibt es Ihnen, mit Ihren alten Freunden die Bühne zu teilen?
Mit Ronnie ist es großartig, jetzt, wo er dem Alkohol abgeschworen hat. Er wird zu einem verantwortungsvollen, verlässlichen Mann. Stevie ist nicht wirklich eine enge Freundin, jedenfalls nicht so wie Ronnie. Aber es macht Spaß, mit ihr zu arbeiten. Sie ist liebenswert und wie eine zerbrechliche Blume.
Warum haben Sie dennoch 2009 die Reunion mit den Faces ausgeschlagen und zugelassen, dass Mick Hucknall als Sänger bei Ihrer ehemaligen Band einspringt?
Das ist ganz einfach: Ronnie kann sich so lange für die Faces verpflichten, wie die Rolling Stones nichts anderes machen als nur die Festivals, die sie dieses Jahr angekündigt haben. Aber ich kann nicht ein Jahr meiner Zeit für die Faces opfern, wenn Ronnie dann plötzlich sagt: „Oh wartet, die Stones machen ein neues Album, ich kann jetzt doch nicht mehr.“
Sie sehen da keine Chance für zukünftige Projekte?
Doch, ich glaube, wir kriegen es bald auf die Reihe mit einer gemeinsamen Tour. Denn ich denke nicht, dass die Stones noch ein neues Album machen werden. Eine Faces-Reunion mit mir könnte also klappen. Bei der Aufnahme der Faces in die Rock‘n‘Roll Hall Of Fame hätte ich gesungen, wenn ich nicht krank geworden wäre. Aber Mick Hucknall hat einen großartigen Job gemacht.
Nun haben Sie ja erst mal ein eigenes Album – das erste seit 13 Jahren mit Songs aus Ihrer eigenen Feder. Wieso kommen Sie ausgerechnet jetzt damit?
Ich erzähle Ihnen, wie es angefangen hat. Vor einigen Jahren kam mein guter Freund Jim Cregan bei mir zum Mittagsessen vorbei und spielte Gitarre. Er sagte: „Komm, lass uns einen Song schreiben.“ Und ich meinte: „Ach nein, ich kann keine Lieder mehr schreiben, die Muse hat mich verlassen, das ist vorbei.“ Aber er blieb hartnäckig und sagte: „Wir probieren es einfach mal.“ Also sang ich einige „La-di-das“ zu ein paar Gitarrenakkorden. Er nahm die Aufnahme davon mit und schickte mir den Song mit mehr Gitarren drauf zurück. Ich fing an, am Text zu feilen und das Stück zu singen, und es wurde ›Brighton Beach‹ daraus. Das war der erste Song, den wir geschrieben hatten.
Und ab da wussten Sie, dass es ein neues Rod-Stewart-Album geben würde?
Ich war immer noch nicht sicher, was daraus werden würde. Mir fehlte einfach das Selbstvertrauen. Ich machte trotzdem weiter mit dem Schreiben. Als nächstes kam dann ›Can’t Stop Me Now‹ heraus, in dem es ausschließlich um meinen Dad, der 1990 verstorben ist, und meine Anfänge im Business geht. Ab da spürte ich, dass es jetzt erst richtig losgeht. Das Lied hat so was Ermutigendes.
Wie sind Sie damit umgegangen, dass Sie sich durch die AMERICAN SONGBOOK-Aufnahmen im letzten Jahrzehnt eher den Ruf als seichter Coversong-Sänger zugelegt und an Kredibilität verloren haben?
Mir ist bewusst, dass ich mein Image als Rocksänger geschädigt habe, obwohl ich so in den 70ern angefangen habe. Aber die AMERICAN SONGBOOK-Alben haben sich unglaublich gut verkauft, genauso wie die Weihnachtsplatte, die letzten Winter erschien. Und nun drehen wir das Blatt eben wieder um. „Rod The Mod“ ist wieder da, und wir werden sehen, was die Leute von diesem Album halten. Ich für meinen Teil bin unglaublich stolz darauf.
Schlägt das Album also auch ein neues Karrierekapitel für Sie auf?
Ich betrachte es in der Tat als eine neue Tür, durch die ich gehe. Es war nicht geplant. Es passierte einfach. Meine Autobiografie erschien letzten Winter zur gleichen Zeit wie das Weihnachtsalbum. Dieses Album war zu der Zeit schon fertig. Ich war also schon in den Startlöchern. Als das Label dann sagte, lass es uns zurückstellen für vier oder fünf Monate und erst das Weihnachtsalbum herausbringen, habe ich noch weitere Lieder geschrieben. Es entstanden ›Sexual Religion‹ und ›She Makes Me Happy‹. Ich habe wirklich wieder Blut geleckt und will weiterhin Songs schreiben.
Geht es Ihnen auch darum, sich im Herbst Ihres Lebens noch mal als Songwriter in Erinnerung zu bringen, der qualitativ gute Lieder schreibt?
Ja, absolut. Ich will ein Vermächtnis hinterlassen. Ich glaube, dass es vielen Künstlern in meinem Alter so geht, dass sie noch mal etwas sagen möchten. Man muss sich nur David Bowie ansehen, der gerade ein grandioses Comeback feiert. Aber ein Vermächtnis ist es für mich auch auf andere Weise: Ein Lied wie ›Pure Love‹, das für meine Kinder ist, habe ich auch mit der Intention im Kopf geschrieben, dass es noch da ist, wenn ich nicht mehr hier sein werde. Wenn meine Kids den Song dann spielen, denken sie an ihren Dad. Das ist ein schöner, hoffnungsvoller Gedanke. Außerdem sind in dem Stück auch ein paar Ratschläge für sie enthalten, wie die Füße am Boden zu behalten.
Was haben Ihre Kinder denn gesagt, als sie das Lied hörten?
Sie haben es noch gar nicht gehört! Erst wollte ich unbedingt, dass sie das Lied so schnell wie möglich hören. Ich war richtig aufgeregt deswegen. Aber dann dachte ich: Nein, lass sie den Song selbst entdecken. Ich freue mich schon, wenn sie zu mir kommen, einer nach dem anderen, denn ich habe ja ein ganzes Rudel davon. Und dann werden sie mich fragen: „Daddy, handelt der Song von uns?“
In Ihrer Autobiografie schildern Sie, wie Sie mit Ronnie Wood Kokain über den Hintern konsumiert haben.
Herrje, ja, es stimmt. Ich hatte Angst, wenn ich es schnupfen würde, dass es mir meine Stimme versaut. Es war ein anderer Weg, Drogen zu konsumieren. Das ist aber nichts, worauf ich stolz bin. Aber es hat auch keine negativen Auswirkungen auf mein Umfeld gehabt. Ich war nie abhängig von dem Zeug.
Auf der Platte blicken sie fröhlich in die Zukunft, aber auch nostalgisch zurück. Waren das die zwei dominierenden Gefühle bei Ihnen in den letzten Jahren?
Ja, genau so war’s. Was mich selbst am meisten überrascht hat, ist, dass ich so persönlich werden kann auf einer Platte. Ich hätte das nie für möglich gehalten. Speziell der Song ›It’s Over‹, der von meiner Scheidung von Rachel Hunter handelt, offenbart so viel.
Würden Sie sagen, Sie haben immer die richtigen Entscheidungen getroffen?
Puh, da waren wirklich viele Entscheidungen zu fällen in meinem Leben, gerade auch beruflich. Ich denke, wie oftmals im Leben, brauchst du bei einer Karriere auch das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Auch im Sport braucht man immer ein bisschen Glück. Der Weg muss sich für dich ebnen, Leute müssen sich auf deine Seite schlagen. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Ja, ich glaube, dass ich die richtigen Entscheidungen getroffen habe. Ganz einfach deshalb, weil sie oftmals für mich gefällt wurden. Ich meine, was wäre gewesen, wenn ich das Ray Davies Quartett, aus dem später The Kinks wurden, nicht verlassen hätte? Was wäre aus mir geworden, wenn ich mich nicht mit Jimmy Powell überworfen hätte? Es war fast schon Schicksal.
Im Internet kursiert ein Video von Ihnen, wo Sie auf der Tribüne weinen, als Ihr Fußballteam Celtic Glasgow den FC Barcelona besiegte.
Es sollte Männern gestattet sein, zu weinen, ohne sich dafür schämen zu müssen. Der Gewinn hat mir so viel bedeutet. Ich musste dabei auch an meinen Dad denken, und dann überkam es mich. Anfangs war ich peinlich berührt, als ich begriff, dass es vermutlich das am meisten heruntergeladene YouTube-Video des Tages war – gleich nach Präsident Obama, der an dem Tag wiedergewählt wurde. Das Video hatte anderthalb Millionen Klicks in 24 Stunden, weil alle den weinenden Rod sehen wollten. Letztendlich habe ich mit dem Clip dann doch meinen Frieden geschlossen, weil es die Menschen aufmerksam macht auf das Fußballteam, das ich liebe.
Katja Schwemmers