Ende der 80er Jahre war Ozzy kaputt, doch 1991 kam er trocken und fit zurück.
1980 veröffentlichte Ozzy Osbourne ›Suicide Solution‹, einen Song, der (anders, als schlecht informierte Christen damals dachten) vor den Gefahren des Saufens warnte. Ein knappes Jahrzehnt später war er kurz davor, sich zu Tode zu trinken. Ein Jahrzehnt lang, das vor allem von Exzessen und Hedonismus geprägt war, ist Ozzy ziemlich entgleist. Die Geschichten seiner Abenteuer dominierten die Schlagzeilen (und erschufen eine Legende um den „Rock’n’Roll Madman“), aber die Realität war viel unglamouröser, als einen die Illustrierten glauben machen wollten.
Eigenen Angaben zufolge (wie er in seiner Autobiographie „I Am Ozzy“ preisgibt) war er gar nicht „der Fledermaus fressende, herumpissende, ›Crazy Train‹-singende Rock’n’Roll-Held“, sondern eher jemand, der nicht trinken konnte, ohne sich selbst einzunässen, einen Filmriss zu haben oder eine Belastung für seine Familie zu sein. Und dann versuchte er am 3. September 1989, seine Frau Sharon umzubringen. Kurz nachdem er vom „Moscow Music Peace“-Festival zurückgekehrt war, würgte er Sharon in seinem Drogennebel, bis man ihn schließlich überwältigen und in eine Gefängniszelle sperren konnte. Nachdem er wieder zu sich gekommen war, konnte er sich an den Vorfall nicht erinnern, war jedoch zutiefst gedemütigt davon, die Liebe seines Lebens fast umgebracht zu haben. Sharon ließ die Anklage fallen, machte jedoch eines klar: Das war’s mit dem Alkohol.
Den Anfang der 90er verbrachte Ozzy in der Entzugsklinik. Nicht nur, um dem Teufelszeug abzuschwören, sondern auch, um wieder zu seiner Familie zurückzufinden und fit zu werden. Nicht nur physisch gesehen, sondern auch musikalisch. Er wollte, dass ihn seine sechste Soloplatte wieder an die Spitze des Heavy Metal brachte. Trotz all der Dunkelheit, die NO MORE TEARS vorausgegangen war, liefen die Aufnahmen erstaunlich glatt und machten Spaß. Die Band und Ozzy spielte sich Streiche im Studio. Ozzy hatte seit kurzem eine große Freude an Stinkbomben entwickelt, die er losließ, wenn die anderen einspielten. (Zakk Wylde erinnerte sich: „Mit dem Zeug hätte man ganze Gebäude räumen können“.) Als Gegenreaktion setzten Wylde und Drummer Randy Castillo zu dreckigem Protest an und versteckten Exkremente in Ozzys Gemächern (inklusive einer vollen Tupperdose in seinem Kühlschrank), um den Sänger mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Falls es irgendwelche Vorbehalte in den vorherigen 18 Monaten gegeben hatte, waren sie nicht spürbar.
„Ich machte mich einfach für die nächste Saison bereit“, so Wylde. „Was auch immer damals passierte, es war an der Zeit, zu üben und ein paar Ärsche zu treten.“ NO MORE TEARS war als reifere Osbourne-Platte gedacht und wurde erst richtig lebendig, als die Produzenten John Purdell und Duane Baron im Studio die Arrangements nachschliffen und sicherstellten, dass jeder einzelne Song Hitpotenzial hatte. Wie Ozzy in seiner Biographie erzählt: „Wir mussten jeden Song so behandeln, als könnte er ein Hit werden“.
Textlich gesehen löste sich das Album von dem überzogenen Kitsch der früheren Soloveröffentlichungen und fand stattdessen seine Balance zwischen gefühlsbetonten Manifestationen und sinsitren Schwingungen. Der Opener, ›Mr. Tinkertrain‹, handelte von Pädophilie, während der Titeltrack sich mit einem Serienmörder beschäftigte. Vor allem jedoch die emotionale Offenheit der zweiten Single ›Mama, I’m Coming Home‹ schien Ozzys Entwicklung als Künstler einzufangen. Fast noch beeindruckender, wenn man bedenkt, dass das Stück tatsächlich von Kollege Lemmy geschrieben wurde (insgesamt steuerte er vier Songs zum Album bei und „verdiente damit mehr Geld als in 15 Jahren mit Motörhead“, wie sich Lemmy in seiner eigenen Autobiographie „White Line Fever“ erinnerte).
Als ›Mama, I’m Coming Home‹ im März 1992 veröffentlicht wurde, veränderte sich die Rockwelt vor dem Hintergrund der aufkommenden Alternative-Welle rapide. Aber während viele andere 80er-Stadion- Rocker bereits tot über dem Zaun hingen, erreichte Ozzy neue Höhepunkte. ›Mama, I’m Coming Home‹ ist bis heute seine einzige Single, die es in die Top 40 in den Staaten schaffte. Der Track erwies sich auch als Vorbote von Ozzys Entscheidung, sich von dem konstanten Tourleben, das ihn in den 80ern bestimmt hatte, etwas zurückzuziehen. Fälschlicherweise wurde bei ihm MS diagnostiziert und er machte sich auf zu einer Abschiedstour, die retrospektiv betrachtet mit „No More Tours“ nicht ganz passend betitelt war.
Als bestes Ozzy-Album seit BARK AT THE MOON von 1983, zeigte NO MORE TEARS deutlich, dass sich Osbourne nicht von dem Paradigmenwechsel begraben lassen würde. Schnell wurde es außerdem zur Messlatte, an der sich künftig alle seine Platten messen mussten – bis zu ORDINARY MAN von 2020. „Ich liebe es, Dinge zu hören wie ,das beste Ozzy-Album seit NO MORE TEARS‘“, gibt Duane Baron zu. „Denn das war es, was wir damals versucht hatten – eine Ozzy-Platte für die 90er zu erschaffen.“
(Texte: Paul Elliott, Rich Hobson, Jon Hotten, Rob Hughes, Emma Johnston, Dave Ling, Everett True, Philip Widing, Henry Yates)