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Neil Young – Die Kunst des Lärms

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Neil Young – Die Kunst des Lärms

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Neil_Young_Press_PubIm Gespann mit dem Soundmagier Daniel Lanois versöhnt Neil Young die disparaten Aspekte seiner Musikerpersönlichkeit miteinander.

Für eher zufällige Beobachter ist der Tonträger-Ausstoß des Neil Young in den letzten Jahren zunehmend unübersichtlicher geworden: Neben zahlreichen regulären neuen Solo-Alben und dem CD- und DVD-Mitschnitt der vieldiskutieren DÉJAVÙ-Tour von Crosby Stills Nash & Young 2006 brachte der laut US-Presse „einzige Hippie, der immer noch anders ist“ auch noch diverse Wiederveröffentlichungen aus seiner ARCHIVES-Serie auf den Markt. Jetzt kommt Young mit einem brandneuen Studio-Album, das – auch für ihn selbst überraschend – auf ganz ungewöhnliche Weise zwei sehr unterschiedliche musikalische Seiten seiner schillernden Künstlerpersönlichkeit verschmilzt: den folky Geschichten-Erzähler und den ins Feedback verliebten Godfather Of Grunge.

Geplant war das wohl gar nicht, es ergab sich eher aus dem Zusammentreffen zweier ewig neugieriger kanadischer Kreativköpfe. Zunächst hatte Young schlicht eine weitere Scheibe im Fahrwasser seiner letzten Veröffentlichungen PRAIRIE WIND und FORK IN THE ROAD im Sinn. Womit er offenbar nicht gerechnet hatte, worauf er sich dann aber mit zunehmender Begeisterung einließ: Der Produzent Daniel Lanois gab dem ganzen Projekt einen kräftigen Stoß in eine neue Richtung. „Neil wollte eigentlich ein Akustikalbum machen“, sagt er. „Aber ich hatte einfach das Gefühl, dass in ihm noch etwas steckt, was bisher nie auf einem Album adäquat zum Ausdruck gebracht worden ist.

Und ich wollte die inneren Landschaften, die Neil in seinen Songs beschreibt, auch auf der klanglichen Ebene abbilden.“ Deshalb drückte Lanois nach seinen eigenen Worten „Neil eine Akustikgitarre in die Hand, als er zu uns ins Studio kam – und zwar eine Gitarre, an der ich lange gearbeitet hatte, um damit einen völlig neuen Sound zu kreieren. Das ist dieser vielschichtige Sound, den man jetzt auf Songs wie ›Love And War‹ und ›Peaceful Valley‹ hört.“

Dieser Daniel Lanois ist nicht irgendein Produzent, sondern einer der interessantesten und kreativsten Köpfe des nordamerikanischen Rock-Business – es lohnt sich, einen kurzen Seitenblick auf die Karriere des Frankokanadiers zu werfen: In einer engen Arbeitsgemeinschaft mit Brian Eno landete Lanois mit seinen Producerjobs für Hochkaräter wie Robbie Robertson, U2 und Peter Gabriel eine Reihe künstlerisch und kommerziell spektakulärer Erfolge. Mitte der achtziger Jahre war der Mann aus Quebec eine Zeit lang der gesuchteste Produzent der Welt. Als Produzent oder Co-Produzent wurde Daniel Lanois zwischen 1987 und 2001 immerhin mit fünf Grammies dekoriert.

Daneben hat er stetig eine eigene Karriere als Sänger, Songwriter und Albumkünstler verfolgt – durch seine hochbezahlte Produzententätigkeit finanziell unabhängig, konnte er sich bei seinen Soloalben auf eine anspruchsvolle und ziemlich einzigartige Mixtur aus Ambient-Musik und Americana konzentrieren. Ganz aktuell hat Lanois mit der Sängerin Trixie Whitley, dem Bassisten Daryl Johnson und dem Jazz-Schlagzeuger Brian Blade die Formation Black Dub gegründet, deren erstes Album am 29. Oktober erscheint.

Lanois’ Spezialität sind ungewöhnliche Soundtexturen und Atmosphären, die er ohne allzu viel Computertechnik, hauptsächlich auf altem Vintage-Equipment und mit ungewöhnlichen Aufnahmetricks erzeugt. Der verblüffende Effekt daraus ist, dass von Lanois produzierte Alben auf eine eigentümliche Weise oft gleichzeitig archaisch und hochmodern wirken, in die Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen gerichtet. 1989 gelang es ihm als Produzent von Bob Dylans OH MERCY, diese Ikone aller Songwriter aus einer mehr als ein Jahrzehnt währenden künstlerischen Identitätskrise zu erlösen. Zusammen mit den Kollegen Rick Rubin und T-Bone Burnett bildet Lanois ein Dreigestirn aus einfallsreichen und querköpfigen Produzenten, die in den USA immer dann erste Wahl sind, wenn es entweder darum geht, Alben mit Americana-Touch zeitgemäß und interessant klingen zu lassen, oder darum, angeschlagene Karrieren alter Helden der amerikanischen Popkultur wieder in Schwung zu bringen.

Letzteres war bei Young natürlich nicht nötig: Der Mann birst nach wie vor geradezu vor Aktivität, live und im Studio. So unterstützte er jüngst Elton John und Leon Russell bei ihrem von T-Bone Burnett betreuten gemeinsamen Album STATE OF UNION. Für sein alljährliches „Bridge School Benefit“ in Mountain View, Kalifornien (bei dem auch Lanois schon mal aufgetreten ist), hat er jetzt sogar seine erste richtige Band, Buffalo Springfield, wieder aktiviert.

In Daniel Lanois’ Haus im Stadtteil Silver Lake von L.A. gingen Young und der Produzent an die Arbeit, ganz ohne Band und vorwiegend in Vollmondnächten. Und was für ein Haus das ist: Eine ausgesprochen geräumige Villa aus dem frühen 20. Jahrhundert mit allerlei Anspielungen an den spanisch-maurischen Stil. Genau der Typus des schlossähnlichen „Mansion“, der in düsteren Hollywood-B-Movies der Dreißiger und Vierziger für mal dekadente, mal unheimliche Stimmung sorgte. Mit seinen weitgeschwungenen Treppen, hohen Stuckdecken und schweren Lüstern bildet es auch eine prächtige Kulisse für die Videos, die Daniel Lanois von den Sessions zu LE NOISE drehte.

Young hatte ihn darum gebeten, nachdem er die Clips gesehen hatte, die dieser von seinem Black Dub-Projekt gemacht und auf YouTube gestellt hatte. Lanois will die Filme von den LE NOISE-Sessions auch zu Video-Installationen für Youngs kommende Konzerte umarbeiten, zudem soll das Album auch als Deluxe-CD/DVD-Package erscheinen und dann acht der Schwarzweiß-Filme enthalten, die zeigen, wie Neil Young die Songs in Lanois’ Eigenheim performte. Somit ist LE NOISE nun nicht nur ein ungewöhnlich klingendes, sondern auch ein optisch ungewöhnlich ausführlich dokumentiertes Album geworden.

Daniel_Lanois_bearb2An einem Abend im August spielte Lanois das Album in seinem Wohnzimmer ein paar Freunden, Musikjournalisten, Bloggern und Stammgästen der L.A.-Musikszene vor. Ein ebenfalls anwesender Reporter der „Los Angeles Times“ fühlte sich als Teil eines „Gefangenenpublikums für Youngs subtil-subversive Methode, den Hörer dazu zu zwingen, das Album beim ersten Hördurchgang so zu erleben, wie er sich das vorstellt: auf einem erstklassigen Soundsystem, im Dunkeln, ohne Ablenkungen“. Diese Aufmerksamkeit ist es sicherlich wert: Young singt mir großer Leidenschaft und Hingabe, und erzeugt dazu auf der von Lanois präparierten Akustikklampfe sowie auf seiner weißen elektrischen Hollowbody-Gretsch-Gitarre ganze Schichten und Wellen von Klängen, die mal stärker, mal sanfter aufwogen. Lanois’ Aussage, diese Sounds stellten „die Zukunft der akustischen Gitarre“ dar, mag etwas arg vollmundig sein – aber ungewöhnlich, frisch und elektrisierend sind diese Arrangements auf jeden Fall.

Dabei muss klar gesagt werden, dass die Songs auch ohne Lanois’ spektakuläre Sound-Texturen gut für sich stehen können. Die wichtigsten von ihnen hatte Neil Young im Rahmen seiner Sommertournee an der Westküste bereits vor Publikum getestet (zu einem Zeitpunkt, als das neue Album noch TWISTED ROAD heißen sollte): darunter ›Peaceful Valley Boulevard‹ – eine Art amerikanischer Öko-Saga mit Indianern und Politikern als Gegenspielern, das die Zuhörer sofort packende ›Love And War‹, den Umweltsong ›Rumblin’‹ und ›Hitchhiker‹, eine Reise durch Youngs Drogenkarriere – die Urfassung dieses Stücks hat Young bereits in den Siebzigern verfasst, sie damals aber nicht für ein Album verwendet. Kurioserweise beschloss Young seine Shows gelegentlich mit dem Song, der das neue Album nun eröffnet: ›Walk With Me‹. Dass die Fans den auf LE NOISE eingeschlagenen Weg in neue Klangwelten gerne mit ihm gehen werden, davon darf Neil Young getrost ausgehen.

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