Lust auf eine Party? Dann gehört ›S.O.B.‹ von Nathaniel Rateliff & The Night Sweats auf die Playlist. Der laute Ruf nach dem Mistkerl und einem Drink, das Clapping und mörderische Tempo und die Mischung aus Roots-Rock, Cowpunk und Soul sind in dieser Kombination unwiderstehlich. Der Sänger machte 2020 im Alleingang auf AND IT’S STILL ALRIGHT mit ruhigeren Sachen von sich reden, jetzt hat er mit seiner Band ein Album eingespielt, auf dem beide Stränge zusammenfließen. Wie es dazu kam, erzählt er uns von seinem Wohnzimmer in Denver aus über Zoom.
Zwischen der Veröffentlichung der letzten beiden Alben liegen zweieinhalb Jahre. Lief bei der Entstehung von SOUTH OF HERE alles reibungslos?
Nicht ganz. Das Problem war meine geistige Gesundheit. Angstzustände sind bei mir immer ein Thema, aber es war noch nie so extrem wie dieses Mal. Ich konnte mich nicht konzentrieren, hatte all diese Sprachnachrichten und Notizen vor mir, konnte aber nichts vernünftig organisieren. Produzent Brad Cook half mir, trotzdem wurden wir in den zehn verabredeten Tagen nicht fertig. Das macht mich in dem Moment dann völlig wahnsinnig.
Man hört, wie weit in der Zeit du zurückgehst. In ›Heartless‹ denkst du über deine Jugend nach. Was ist es, das dich da packt und nachdenken lässt?
Ein Teil der Platte handelt von der Gegend in Missouri, in der ich aufgewachsen bin. Im Titelsong spiele ich mit dem Gedanken, dorthin zurückzugehen, damit ich richtig fühlen kann, wie es dort für mich war. Es ist der Ort, der meine Persönlichkeit geprägt hat. Ich lebe jetzt zwar in Colorado, aber Missouri bleibt meine Heimat, ich habe noch Familie dort. Das Lebenstempo ist dort langsamer als in Colorado. Es liegt im Mittleren Westen, aber man spürt trotzdem einen Hauch von Südstaaten-Mentalität. Das tut mir gut und fühlt sich für mich natürlich an.
Die Person, um die es in deinen neuen Liedern geht, ist dieses Mal durchgängig dein eigenes Ich. Hattest du Bedenken, mit rein persönlichen Angelegenheiten öffentlich zu werden?
Am Anfang war ich mir nicht sicher, ob ich über mich oder andere Personen sprechen sollte. Dann kam Brad ins Spiel, der sich um die Musik kümmerte und auch zu den Texten Vorschläge machte. Er empfahl mir, mich in der Erzählung an meinem eigenen Leben zu orientieren, das sei glaubwürdiger. Für mich ist es sehr wichtig, über die Kämpfe in meinem Leben zu singen. Da liegt für mich ein großer Teil meines Antriebs. Die Hoffnung ist, dass andere Songschreiber darauf anspringen und Angriffspunkte für ihre eigene Entdeckungsreise finden. Ich mache das alles ja nicht nur für mich selbst.
Wie hat die Band auf diese Herangehensweise reagiert? Wie fand sie Zugang zu den Ideen, die du ihnen präsentiert hast?
Bei den letzten beiden Platten stand ich im Fokus. Wir arbeiteten viel in meinem Haus und ich nahm die Chefrolle ein. Diesmal saß Brad unten in Texas in den Sonic-Ranch-Studios. Sie liegen 45 Minuten südwestlich von El Paso inmitten von Pekannussbaum-Hainen. Ich hatte Termine mit zwei Konzerten zu Willie Nelsons 90. Geburtstag. Das gab den Jungs Gelegenheit, im Studio alles aufzubauen. Als ich ankam, spielten wir im Kreis mit direktem Blickkontakt. Brad hatte sie ermutigt, mehr auf das zu vertrauen, was sie selbst hervorbringen. Sie sollten sich nicht nur an mich als Anker orientieren. Luke Mossman, unser Gitarrist, zeigte sich besonders begeistert. Für ihn haben sich diese Sessions besser als alles andere angefühlt, was er in seinem Leben gemacht hat.
Zum Stil: Der Retro-Soul-Anteil ist nicht so dominant, es hört sich mehr nach deinen zwischen Folk und Americana liegenden Solo-Sachen an. Wolltest du eine bessere Balance finden?
Bei THE FUTURE ging es um den modernen Anstrich. Ich wollte unbedingt, dass die Gruppe und ihr Sound in einer sich ständig verändernden Musikkultur relevant bleiben. Jetzt ist mir das nicht mehr wichtig. Es geht mir nicht darum, mich an dem zu orientieren, was aktuell und trendy ist. Ich feiere bald meinen 46. Geburtstag, da kann ich mich nicht wie ein junger Hipster aufführen. Ich wollte mich anders als früher auch nicht mehr zwanghaft an Soul und R&B klammern, nur weil meine Platten bei Stax Records erscheinen. Etwas in der Art von den akustischen Sachen, die ich früher alleine auf Tour gespielt habe, kann auch in der Band funktionieren. Warum nicht?
Welche anderen Künstler halfen dir auf die Sprünge?
Ich habe an das gedacht, was mir seit der Jugend in der amerikanischen Musik wichtig ist. HIGHWAY 61 REVISITED, HARVEST oder NEBRASKA fühlen sich für mich zeitlos an. Ich will mich nicht mit diesen großen Künstlern messen. Ich hoffe aber, dass ich eine Reihe von Songs anbiete, die sich ähnlich wie diese Klassiker anfühlen.
Du hast bereits Willie Nelson erwähnt. Zu ihm ist das Verhältnis besonders eng, auch weil ihr 2019 über sein Unternehmen Willie’s Reserve eine limitierte Cannabis-Variante lanciert habt. Was läuft zurzeit in dieser Richtung?
Das Verhältnis zu Willie und seiner Fami- lie ist stabil, ich habe ihn auch zu Weihnachten getroffen. Gerade habe ich ein paar Zeilen mit Lukas Nelson ausgetauscht. Ich fühle mich da sehr geehrt. Mein Vater wäre sicher aus dem Häuschen, wenn er noch am Leben wäre. Er war ein Riesenfan von Willie. In Sachen Cannabis-Projekt gibt es aktuell nichts Neues zu berichten.
Seit dem 1. April dieses Jahres können Erwachsene in Deutschland legal einen Joint rauchen.
Au, echt? Das ist eine gute Nachricht. Al wir beim letzten Mal von Amsterdam nach Berlin flogen, gab es nach der Landung ein Problem. Mein Tontechniker hatte vergessen, dass er noch Marihuana mit sich trug. Als wir aus dem Flieger stiegen, sprang ihn gleich der Drogenhund an. Da fuhr uns allen der Schrecken in die Glieder. Er dachte, er müsse deswegen in den Knast und sich einen neuen Job suchen. Letztlich lief wegen der geringen Menge alles glimpflich ab. Die Polizisten ließen ihn mit einer Warnung gehen.
Freust du dich auf die Konzerte im Juni und Juli in Deutschland?
Ja, absolut. Bei der Gelegenheit können wir euch zum ersten Mal alles aus THE FUTURE vorstellen. Das ist bisher nicht geschehen, aus irgendwelchen Gründen gab es damals keine Auftritte in Deutschland. Gleichzeitig können sich die Fans zum ersten Mal die neuen Stücke live anhören. Das wird sicher spannend.