Der deutsche Top-Gitarrist spricht im CLASSIC ROCK-Interview über Kollaborationen mit seinen ganz persönlichen Helden, die Abstinenz vom Alkohol sowie sein Leben im „Tempel des Rock“.
Manchmal rutscht selbst gestandenen Journalisten das Herz in die Hose. So geschehen bei der Verleihung der CLASSIC ROCK-Awards in London. Michael Schenker soll in der Weltraumlobby des Londoner Metropolitan Hotels abgeholt werden – denn er wird von Alice Cooper einen Preis überreicht bekommen, und zwar nicht irgendeinen, sondern den „Marshall 11 Award“, der an Künstler geht, die den Rock’n‘Roll ohne Rücksicht auf Verluste (aus-)gelebt haben. Doch der Saitenvirtuose, der durch seine Arbeit für die Scorpions, UFO und die Michael Schenker Group zur Legende geworden ist, ist unauffindbar. Wo steckt er nur? Handy raus, Schenker anklingeln. Auf die Frage, wo er sich denn gerade befindet, kommt die schockierende Antwort. „An der Bar!“ Der Herzschlag setzt für einen Moment aus. Schließlich ist gemeinhin bekannt, dass Schenker lange Zeit mit dem Dämon Alkohol gekämpft hat. Schnell hin. Doch dann die Erleichterung: Ein schlank und gesund aussehender Michael Schenker lehnt an der Theke und schlürft einen schaumigen Cappuccino. Puh.
Michael, du hast im Laufe deiner Karriere zahlreiche Preise bekommen, nicht nur von CLASSIC ROCK, auch von zahllosen anderen Magazinen. Welche Bedeutung hat das für dich?
Ehrlich gesagt ist mir nie bewusst gewesen, dass meine Musik eine so große Wirkung auf die Menschen hat. Für mich stellt sich das so dar: Ich erschaffe gerne etwas, anstatt nur herumzusitzen und mir Sorgen über die schlimmen Dinge zu machen, die in der Welt passieren. Im Grunde habe ich in meiner eigenen kleinen Welt gelebt, seitdem ich mich vor 30 Jahren entschieden habe, nicht wieder bei den Scorpions einzusteigen und stattdessen die Michael Schenker Group zu gründen. Jetzt eine Auszeichnung für mein Lebenswerk und auch meinen Lebensstil zu bekommen, fühlt sich so an, als ob ich endlich mein Examen abgelegt hätte.
Du hast in deiner Karriere mehrfach Bands verlassen, die kommerziell sehr erfolgreich waren. Woher nimmst du diesen Mut?
Seit ich Ende der Siebziger zum ersten Mal bei UFO ausgestiegen bin, habe ich nie versucht, groß rauszukommen, sondern einfach mein Ding gemacht. Aber seit kurzem verspüre ich den Drang, meine Kreativität stärker auszuleben. Wenn man heutzutage auf Festivals geht, sieht man, dass sich etliche Musiker-Generationen auf ein und derselben Bühne tummeln. Manchmal kommen Musikern zusammen, die jeweils aus fünf unterschiedlichen Rock-Jahrzehnten stammen. Meiner Meinung nach haben Led Zeppelin die Grundmauern für den „Rock-Tempel“ gebaut, auf die dann etliche andere Bands immer mehr und mehr Ziegel geschichtet haben. Jetzt bauen wir gerade am Dach. Mal sehen, was weiter mit dem „Tempel“ passiert.
Glaubst du, dass das Dach ausgebaut wird?
Ich weiß auch nicht, wo das hinführt. Technische Entwicklungen und Trends spielen dabei eine große Rolle. Die Musiker stimmen mal hoch, dann wieder runter, spielen auf zwei Saiten, spielen auf verstimmten Gitarren – und das alles nur, um etwas anders zu machen.
Das hast du nicht nötig – und hast so den 30. Geburtstag der Michael Schenker Group im vergangenen Jahr ziemlich klassisch gefeiert: mit einer ausgiebigen Tournee…
Ja, und es hätte nicht besser laufen können. Simon Phillips, unser erster Schlagzeuger, spielte mit uns in Japan, Chris Slade war in Europa dabei, und Carmine Appice trommelte in den Staaten. Es war unglaublich und eine große Ehre für mich, denn ich kann mich daran erinnern, als 16-Jähriger ein Konzert von Beck, Bogert & Appice gesehen zu haben.
Wie war es, all die MSG-Klassiker wie ›Armed And Ready‹, ›Cry For The Nations‹ noch einmal aufzugreifen?
Das sind Singalongs. Hin und wieder darf ich dabei auch ein Solo beisteuern, was immer ein kleines Abenteuer ist. Es macht Spaß, die Stücke zu spielen, und unsere Fans scheinen sie gerne zu hören.
Welche Pläne hast du für deine weitere Zukunft?
Ich habe ein Soloalbum mit einigen Stargästen in der Mache und bei Bob Rock angefragt, ob er es produzieren will. Außerdem habe ich einen neuen Manager: Bob Ringe, der auch Zakk Wylde und Leslie West betreut. Er konzentriert sich jetzt mit seiner Firma Survival Management auf uns drei. Genau so etwas brauchst du, wenn du auf dich allein gestellt bist. Dann musst du dich mit allen Ereignissen selbst herumschlagen.
Gibt’s sonst noch was?
Es besteht die Möglichkeit, dass die Michael Schenker Group die Scorpions nächsten Sommer auf einer Tour durch die Vereinigten Staaten supportet. Außerdem klappt dort vielleicht auch eine Konzertserie mit UFO durch die Houses Of Blues.
Wie steht’s mit deiner Alkoholabstinenz? Immer noch nüchtern?
Ja, allerdings.
Und du hast keine Probleme, auch nicht mit Pete Way in deinem Umfeld?
Das spielt keine Rolle. Man muss sich einfach für sich selbst entscheiden, was wichtig ist und was nicht. Ohne Alkohol spiele ich viel besser. Und mir geht es auch besser. Warum also sollte ich den Stoff wieder anrühren?
Du hast vor einigen Monaten zusammen mit deinen neuen Band-Kollegen Hermann Rarebell und Pete Way mit Brighton geprobt, wo auch Phil Mogg von UFO wohnt. Hast du ihn getroffen?
Das ist das Tollste: Pete ist einmal aus dem Proberaum gestiefelt – und wem begegnet? Richtig, Phil Mogg, der gerade mit seinem Hund Gassi ging. Daraufhin besuchte uns Phil im Studio und schaute bei den Rehearsals zu. Sein Kommentar: „Ihr spielt ›Rock Bottom‹ zu schnell!“ Der hat doch keine Ahnung! (lacht)
Geoff Barton