Mai/Juni/Juli 1979: In den Londoner Matrix Studios entsteht Marianne Faithfulls Comeback-Album BROKEN ENGLISH
Leicht nachvollziehen lässt sich der Werdegang von Marianne Faithfull nach der Trennung von Mick Jagger 1970 nicht, nachdem sie zuerst 1964 mit Hilfe von Rolling-Stones-Manager Andrew Loog Oldham eine weltweite Traumkarriere als noch minderjährige Pop-Folk-Sängerin gestartet hatte, um dann ab Ende 1966 für vier Jahre zur Lebensabschnittsgefährtin des Stones-Frontmanns zu avancieren. Offiziell gilt, dass die Tochter des britischen Major Robert Glynn Faithfull und der österreichisch-ungarischen Adeligen Eva von Sacher-Masoch als
Heroinabhängige im Drogensumpf versank, darüber das Sorgerecht für Sohn Nicholas aus der Ehe mit John Dunbar (Indica Gallery) verlor und rund drei Jahre lang in London auf der Straße lebte. Möglicherweise überzieht Marianne Faithfull diese Phase bewusst, weil sie sich als so erfolglos erwies, trat sie in besagter Ära doch noch immer als Schauspielerin an kleinen Theatern auf, spielte sporadisch LPs ein (RICH KID BLUES) und wirkte 1973 gar in David Bowies US-TV-Special „The 1980 Floor Show“ mit. Nachdem sie mit der countryesken LP DREAMIN’ MY DREAMS/FAITHLESS (1975) zumindest einigermaßen wieder Fuß gefasst hatte, gelang es ihr in den Jahren danach, trotz prekärer Umstände wie das Wohnen in einem besetzten Haus, einer turbulenten Ehe mit Punkmusikus Ben Brierly (The Vibrators) und weiterhin heroinabhängig, all ihre Lebenserfahrungen
mit Hilfe von Komponist und Gitarrist Barry Reynolds in eigene Songs zu betten. Eine nur unzureichend behandelte Kehlkopfentzündung sowie heftiger Drogen- und Nikotinkonsum modifizierten den einst so
kristallklaren Sopran um ein, zwei Oktaven tiefer.
Demos ließen Island-Labelchef Chris Blackwell und Produzent Miller Mundy aufhorchen. Von Mai bis Ende Juli 1979 entstand in den Londoner Matrix Studios das siebte Studiowerk BROKEN ENGLISH mit Reynolds, Joe Mavety (Gitarre), Steve York (Bass) und Terry Stannard (Drums) als Kernband sowie diversen Studiogästen. Doch erst als Multiinstrumentalist Steve Winwood sich zum Team gesellte, Elektronik ins Spiel brachte, Arrangements modifizierte und einen neuen Sound entwickelte, entstand der bahnbrechende Meilenstein. Im hypnotischen Titelsong bezog sich Marianne auf RAF-Terroristin Ulrike Meinhof. John Lennons ›Working Class Hero‹ tönte eindringlicher als im Original. Dichter Heathcote Williams’ harsche Poesie in ›Why D’Ya Do It‹ ging bis weit über die Schmerzgrenze. Angeschoben wurde die Platte von der Auskopplung ›The Ballad Of Lucy
Jordan‹, eine sarkastische Hausfauen-Tragödie.