Pink Floyd hätten´s kaum besser machen können
Die Ovationen, die Andrew Latimer schon beim Betreten der Bühne entgegenbranden, sind Anerkennung und Genesungswünsche in einem. Denn der Camel-Gitarrist kämpfte monatelang zwischen Leben und Tod und ist heute, im November 2013, von schwerer Krankheit gezeichnet. Latimer aber strahlt und erklärt dem Publikum, wie froh er sei, in dieser wunderschönen Kirche spielen zu dürfen und schließt mit entwaffnendem Fatalismus: „It’s good to still be around anyway.“
Das finden auch die zahllosen Fans in der restlos ausverkauften Bochumer Christuskirche, die jahrelang auf ein Comeback der britischen Prog-Rock-Kultband gewartet haben. Und tatsächlich: Die Rückkehr ist spektakulär und triumphal. Camel haben ihr 1975er-Konzeptalbum THE SNOW GOOSE neu eingespielt und präsentieren hier und heute die komplette Scheibe. Es ist der pure Genuss! Wie auch auf Scheibe sind Camel ausgewiesene Klangfetischisten, bei denen jeder Ton stimmt und beide Keyboarder neben wundervollen Solopassagen ein stimmungsvolles Fundament für die atemberaubenden Soli Latimers ausbreiten. Der Mann spielt vielleicht nicht mehr ganz so schnell wie in den 70ern, aber sein Melodieverständnis und sein Ausdruck reichen bis in die Sphären eines David Gilmour. Als SNOW GOOSE durchexerziert ist, spielen Camel noch ein knappes Dutzend-Klassiker, von ›Lady Fantasy‹ bis ›Song Within A Song‹. Die Kirche tobt: Hier hätte man noch Stunden zuhören mögen!
Matthias Mineur
Volbeat
Frankfurt, Festhalle
Weder Himmel noch Hölle
Mit eiligen Handbewegungen onduliert Vokalist und Gitarrist Michael Schøn Poulsen sich zwischen zwei Songs seine mit Pomade eingefettete Frisur. Schließlich filmen gleich mehrere große TV-Kameras in der ausverkauften Frankfurter Festhalle mit. Da dürfte der in Deutschland mächtig angewachsenen Fangemeinde von Volbeat eine DVD ins Haus stehen. Als mehr oder minder freiwillige Mitwirkende lässt das von der ersten bis zur letzten Note enthusiastische Publikum als kostenlose Statisterie grüßen. An eine passende Kulisse hat das mit Schlagzeuger Jon Larsen, Bassist Anders Kjølholm sowie den von Anthrax übergetretenen Amerikaner Robert „Rob“ Caggiano an der Sologitarre komplettierte Quartett aus Kopenhagen auch gedacht. Als Volbeat nach zünftiger Einführung durch Banjo-Spieler Rod Sinclair noch vor geschlossenem Vorhang mit mächtig lautem Knall den Auftaktsong ›Doc Holliday‹ anstimmen, fällt endlich auch die Sichtblende. Eine Nachbildung des 1867 aus der Taufe gehobenen Fort Griffin in Texas dominiert das Bühnenambiente. Inklusive integrierten Friedhofs mit den Gräbern diverser „böser Jungs“. Darunter der hymnisch besungene Wildwestrevolverheld ›Doc Holliday‹ sowie als Augenfang auch ein Galgen, an dem ein Gehenkter vor sich hin verrottet. Durch rund zwei Dutzend Songs brettern Volbeat rustikal. Süffisant moderiert von Michael Schøn Poulsen. Stilistisch kreisen Volbeat um gleich mehrere Genre-Eckpfeiler: Von Hard Rock bis Heavy Metal reicht die Palette, aufgelockert durch Rockabilly und Rock’n’Roll sowie Country. Inszeniert mit jeder Menge Pyrotechnik. Mit zünftig betitelten Songs wie ›The Mirror And The Ripper‹, ›The Hangman’s Body Count‹ und ›Heaven Nor Hell‹ unterstreicht das Quartett seine augenzwinkernde Outlaw-Revue.
Michael Köhler
Airbourne
München, Kesselhaus
Oh ja, Sie können es
Von Airbourne wissen wir, dass sie die perfekte Band für einen Nachmittags-Festival-Gig abgeben. Doch reicht ihre Anziehungskraft für eine eigene Headliner-Show? Bevor sich diese Frage mit einem „ja” beantwortet, bekommt das komplett ausverkaufte Auditorium jede Menge hochwertigen Support angeboten. Zunächst bekommen die Jungspunde und altgedienten Rockveteranen eine Mischung aus Zakk Wylde und Volbeat von Corroded serviert. Danach dürfen sich Black Spiders mit marschierendem „Schweinerock” vorstellen. Musikalisch nicht aufregend, aber wirkungsvoll, könnten sie das Publikum für sich gewinnen, wären da nicht die nach Fremdscham schreienden Ansagen von Frontmann Peter Spiby. Dann betreten Airbourne die Bühne: Die Szenerie erinnert an das Video zu ›Thunderstruck‹.
Bierbecher fliegen und Mähnen werden geschwungen. Von der ersten Minute an ist klar, dass Airbourne viel Aufwand in die Planung ihrer Shows Stecken. Licht, Effekte, wirkungsvolle Einlagen sowie Lautstärke werden hier voll ausgeschöpft. Schon beim dritten Song lässt sich Chef Joel auf den Schultern einer Security-Kraft zum Mischpult tragen, er steigt auf meterhohe Verstärkerwände, eine handbetriebene Sirene kommt zum Einsatz und natürlich werden wieder Bierdosen auf der Stirn zum Platzen gebracht. Die übrigen Vier bauen ein wuchtiges und extrem groovendes Bett für den Wirbelwind. Und so schenken Airbourne allen Beteiligten einen mehrstündigen 13-Hits-in-Folge-Abend, der der „Rock Is Dead”-geschundenen Seele richtig gut tut.
Paul Schmitz