Wer immer noch glaubt, hofft und betet, dass sich die Mutter aller Hardrock-Bands eines Besseres besinnt, sieht sich getäuscht: Mit CELEBRATION DAY legen Led Zeppelin zwar den überfälligen Mitschnitt ihrer legendären O2-Show vor, erklären aber auch ihr unwiderrufliches Ende. CLASSIC ROCK traf Bassist John Paul Jones, der jedoch alles andere als traurig wirkt.
Im Gegenteil: Das schmächtige Männchen, das in einer Suite des ehrwürdigen Londoner Connaught Hotels sitzt und schwarzen Kaffee schlürft, ist der Inbegriff von tiefer, innerer Zufriedenheit. „Die Leute fragen mich immer, ob ich Led Zeppelin als Monster erachte – weil es alles überlagert, was ich als Solist mache. Da kann ich nur sagen: Ich bin verdammt stolz auf das, was wir geleistet haben. Das war wirklich etwas Besonderes. Etwas, das zudem mehr Geld abwirft, als ich je ausgeben könnte. Was bedeutet: Ich kann tun und lassen, was ich will. Ich bin frei, und das genieße ich in vollen Zügen.“
Wozu zwar keine weiteren Solo-Alben zählen („damit bin ich durch“), aber jede Menge skurrile bis ehrgeizige Projekte. „Als nächstes gehe ich auf Tour mit Supersilent, einer norwegischen Avantgarde-Gruppe, und dann verkrieche ich mich in meinem Studio und beende meine erste Oper, an der ich seit Jahren arbeite. Ein gigantisches Projekt mit einem 60-, 70-köpfigen Orchester und sechs Solisten, das auf Strindbergs „The Ghost Sonata“ basiert. Von daher ist es sehr düster und mysteriös, aber auch toll. Also mir macht es einen Riesenspaß.“
Und dann hat er ja noch Them Crooked Vultures, die Supergroup um Dave Grohl (Foo Fighters) und Josh Homme (Queens Of The Stone Age), die ebenfalls 2013 mit einem neuen Album aufwarten will. Allerdings ohne Tour, wie Jones betont: „Ich muss erst mal die Oper beenden – und dann arbeite ich ja auch noch mit Seasick Steve und meiner eigenen kleinen Band, den Minibus Pimps. Ein Hardcore-Electronic-Duo mit Helge Sten.“ Weshalb es letztlich gar nicht so tragisch sei, dass es 2008/2009 nicht zum erhofften Led Zep-Comeback gekommen ist. Trotz Offerten im dreistelligen Millionenbereich, und einem Medienhype ohnegleichen. „Robert wollte nicht“, zuckt Jones mit den Achseln. „Während Jason, Jim und ich alles dafür gegeben hätten. Einfach, weil der Gig in der O2 Arena so toll war, und wir das gerne weitergeführt hätten. Also vielleicht nicht gleich mit einem neuen Album, aber es wäre doch toll gewesen, noch ein paar Shows zu spielen und allen Leuten, die uns sehen wollten, die Möglichkeit dazu zu geben.“
Weshalb das Trio angeblich nach einem Plant-Ersatz suchte, ihn aber nicht fand. Was laut Jones nur die halbe Wahrheit ist. „Das ist ein Missverständnis. Unsere Absicht war nicht, mit einem anderen Sänger als Led Zeppelin zu touren, sondern eine völlig neue Band zu starten. Wobei wir natürlich auch die eine oder andere alte Nummer gespielt hätten – es geht ja schließlich nicht ohne. Und wir hatten schon Sachen wie ›Carouselambra‹ geprobt, die wir nie zuvor live gebracht haben. Genau wie ein Dutzend neuer Songs, die wir eigenes für dieses Projekt geschrieben hatten. Aber Jimmy und ich konnten uns nicht auf einen Sänger einigen. Wir hatten mehrere Leute am Start. Wie etwa Myles Kennedy, dessen Stimme ganz anders ist als die von Robert. Und deshalb wäre es auch nicht Led Zeppelin gewesen. Womit die Fans wahrscheinlich noch mehr Probleme gehabt hätten. Und deshalb haben wir es verworfen. Weil es sich nicht richtig anfühlte. Nur: Wir hätten nie eine dieser fürchterlichen Reunion-Tourneen mit neuen Bandmitgliedern unternommen. Nicht für alles Geld der Welt.“
Ein Idealismus, den er sich mit einem geschätzten Privatvermögen von 45 Millionen Pfund leisten kann. Und der auch auf CELEBRATION DAY durchschimmert. Ein Mitschnitt des ersten und einzigen Led Zep-Auftritts seit den späten 80ern, der am 10. Dezember 2007 über die Bühne ging, und jetzt in diversen Konfigurationen erscheint. Mit einem mustergültigen Sound, tollen Bildern von Band-Intimus Dick Carruthers, ausführlichem Bonus-Material und einem 16-Song-Set, das keine Wünsche offen lässt. Sprich: Hier jagt ein Klassiker den nächsten – von ›Good Times, Bad Times‹ über ›Black Dog‹, ›No Quarter‹, ›Dazed And Confused‹, ›Stairway To Heaven‹ bis zu ›Kashmir‹, ›Whole Lotta Love‹. Dargeboten von einer Band, die nicht nur absolut tight ist, sondern das Ganze auch in vollen Zügen genießt. Wovon viel zufriedenes Grinsen, Lachen und Schulter klopfen zeugt. „Der Druck im Vorfeld war einfach riesig“, setzt Jones an. „Ich meine, 20 Millionen Menschen, die ein Ticket für diese Show wollten – Wahnsinn! Und die 18.000, die dann bei einer Lotterie gewonnen haben, sind aus allen Teilen der Welt angereist. Was eine Riesenverantwortung bedeutet. Ich meine, man will sie ja nicht enttäuschen. Nicht zuletzt, wegen all dem Geld, das sie investiert haben. Und deshalb haben wir diesmal sehr sorgfältig geprobt – damit da nichts schief geht. Also im Gegensatz zu den Auftritten von 1985 und 1988, die schrecklich waren. Damals haben wir gedacht, wir kriegen das auch so hin, was ein Trugschluss war. Wenn du mich fragst, haben wir uns da bis auf die Knochen blamiert. Und das sollte nicht noch einmal passieren. Wir wollten zeigen, was in uns steckt, wie gut wir sind, und dass wir unseren Ruf nicht umsonst genießen.“
Eben als eine der größten Rockbands aller Zeiten, die in den zwölf Jahren ihres Bestehens neun wegweisende Alben hervorbrachte, davon geschätzte 300 Millionen Tonträger umsetzte, und 1980 – nach dem Tod von Drummer John Bonham – den berühmten Stecker zog. „Es wäre nicht richtig gewesen, ohne Bonzo weiterzumachen – weil er so ein elementarer Teil von Led Zeppelin war. Ich meine, er war ein ganz besonderer Drummer. Einer, der im Grunde wahnsinnig komplizierte Sachen gemacht hat, aber immer sehr einfach geklungen hat. Und der bei seinem erdigen Sound immer noch viele kleine, spannende Sachen eingebaut hat. Wobei das Entscheidende war: Er hatte extrem viel Groove. Weshalb all diese schönen Mädchen zu unseren Konzerten kamen und die ganze Zeit getanzt haben. Es war toll.“
Eine Fähigkeit, die man – so Jones trocken – bei keinem anderen Schlagzeuger gefunden hätte. Außer bei Jason Bonham, Bonzos Sohn, der auch beim O2-Gig aushalf. Und dabei nicht nur einen fantastischen Job ablieferte, sondern im Grunde so etwas wie der musikalische Direktor war: „Er kennt die Songs noch besser als wir, und ist so etwas wie ein wandelndes Archiv. Wenn du dich mal wieder fragst: ,Wie spiele ich das bloß?‘, dann sagt er: ,1971 hast du das so gemacht, 1973 so…‘ Was wirklich praktisch ist. Und als ich bei ›For Your Life‹ so gar nicht wusste, wie wir das früher live gebracht haben, da meinte er: ,Kein Wunder, ihr habt es ja auch noch nie auf der Bühne gespielt.‘ Solche Sachen. Und das rührt einfach daher, dass er die Stücke sein Leben lang gehört hat, und unglaublich viel Wert darauf legt, sie richtig rüberzubringen. Er ist so etwas wie unser größter Fan, und er war unglaublich stolz, an diesem Abend in die Fußstapfen seines Vaters treten zu dürfen. Wobei er ihn nicht einfach imitiert, sondern wirklich sein eigenes Ding gemacht und viel improvisiert hat. Genau darum geht es bei Led Zeppelin.“
Und so gerät der 66-Jährige, der grade in den späten 70ern die treibende Kraft hinter der Band war, doch noch ins Schwelgen. Etwa was die konspirativen Jams und ausufernden Live-Darbietungen der Vergangenheit betrifft, oder auch die eigene Gigantonomie, die das Intro zu CELEBRATION DAY – eine Nachrichtensendung aus dem US-Fernsehen – auf den Punkt bringt: „Led Zeppelin sind in ihrem Privatjet auf dem Flughafen von Atlanta gelandet, wo zwei Limousinen und eine Polizeieskorte warten, um sie zum Stadium zu bringen. Dort spielen sie vor 76.000 Fans – ein neuer Publikumsrekord.“ Was Jones fast ein bisschen verlegen macht: „Wir haben uns das hart erarbeitet. Ich meine, bei unserer ersten Amerika-Tournee hatten wir einen klapprigen Mini-Van, was einfach schrecklich war. Danach eine Art Greyhound Bus, bis wir uns endlich ein paar billige Flugtickets und später den Jet leisten konnten. Es ist also immer größer und größer geworden, wobei die Konzerte irgendwann etwas von richtigen Events hatten. Was mir persönlich dann doch zu weit ging – weil die Musik dabei fast zweitrangig war.“
Wobei der Mann aus Kent ohnehin immer als der Schüchterne oder auch Clevere der Band galt. Zum einen, weil er seine Drogenexzesse nicht so öffentlich ausgelebt hat, wie die übrigen drei. Aber auch, weil er sich oft verkleidet hat, um selbst auf Tour ein halbwegs normales Leben zu führen. „Ich wollte einfach Musik machen. Und wenn irgendwo eine Session lief, bin ich da hin, um Bass, Mandoline oder was auch immer zu spielen. Ich konnte es nicht ertragen, die ganze Zeit im Hotel zu verbringen und da regelrecht eingesperrt zu sein. Sondern ich musste raus, ich musste etwas machen. Und deswegen habe ich alles getan, um möglichst anonym zu sein. Ich habe mein Aussehen bei jeder Tour verändert, hatte mal lange, mal kurze Haare, mal einen Schnauzer, einen Bart oder war glatt rasiert. Einfach, damit keiner weiß, wie ich aussehe. Und seien wir ehrlich: Das wussten eh die wenigsten. Ich stand auf der Bühne ja fast immer im Dunkeln. Also Page und Plant wurden ständig fotografiert, und deswegen auch sofort erkannt. Was bedeutete, dass sie nirgendwo hingehen konnten. Nur: Das war nicht das, was mir vorschwebte.“
Doch auch Jones hat es mitunter richtig krachen lassen. Wie zum Beispiel der Song ›Royal Orleans‹ vom ´76er Album PRESENCE andeutet. Da geht es um einen faux pas erster Güte, der dem Basser in den frühen 70ern an der Bar ihres Lieblingshotels im Big Easy unterlief – als er einen Transvestiten abschleppte, mit auf sein Zimmer nahm, sich einen Joint anzündete und dann auf dem Bett einschlief. Was zu einem Großeinsatz der lokalen Feuerwehr führte. „Solche Dinge sind halt passiert“, grinst der dreifache Familienvater. „Aber ich wusste, dass es kein Mädchen ist. Der Fehler ist einem anderen Bandmitglied passiert – und wir haben die beiden Geschichten dann zusammengefügt. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“
Genau wie zur weiteren Zukunft des Zeppelins, der – so will es Jones – scheinbar endgültig ausgedient hat. So soll es zwar noch eine remasterte Auflage des Backkatalogs mit Bonustracks geben, doch das war es dann auch. „Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass wir noch etwas zusammen machen. Ich meine, man soll nie nie sagen. Aber so, wie es jetzt aussieht, würde mich das sehr wundern.“