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Kings Of Chaos

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Kings Of Chaos

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Kings Of Chaos Live @ Sean Brand (5)»Es geht hier nicht um Egos. Es geht darum, fucking Spaß zu haben«

Mit Mitgliedern von Guns N’ Roses, Def Leppard und Deep Purple mangelt es den Kings Of Chaos sicher nicht an Glaubwürdigkeit. Aber sind sie nun die erste Milliarden-Dollar-Supergroup oder einfach nur eine bessere Cover-Band?

Text: Dave Everly

Erst nach der Hälfte der ersten von zwei Kings-Of-Chaos-Shows in der GrandWest Arena, einem Konzerthallen/Casino-Komplex mit einer Kapazität von 7.000 Menschen in der nördlichen Vorstadt von Kapstadt, wird einem bewusst, wieviel Geld da gerade auf der Bühne steht. Bis jetzt arbeiteten die neun Mitglieder dieses Allstar-Kollektivs im Schichtbetrieb: Geht einer der vier Sänger oder drei Gitarristen von der Bühne, kommt ein anderer, um ihn zu ersetzen. Sie haben schon eine ganze Jukebox voller Hits ihrer diversen Hauptbands dargeboten und dafür frenetische Publikumsreaktionen geerntet. Doch jetzt gehen sie vom Gas. Die Lichter fahren runter und ein paar Sofas, zwei bequeme Sessel und eine Stehlampe in ansprechendem Design werden für einen akustischen Part aus sechs Stücken auf die Bühne gerollt. Erst jetzt, versammelt in einem Halbkreis inmitten dieser künstlichen Wohnzimmeratmosphäre, erscheint erstmals das komplette Line-up.

Der einstige Deep-Purple-Mann Glenn Hughes sieht gediegen aus, Joe Elliott von Def Leppard wie ein Rockstar. Dann ist da Myles Kennedy von Alter Bridge, der in letzter Minute zur Band stieß, sowie Ed Roland von den platinveredelten Post-Grungern Collective Soul. Velvet-Revolver-Gitarrist Dave Kushner trägt einen Beanie-Hat und Stierhorn-Schnurrbart. Und dann sind da noch vier – ja, vier – Mitglieder des USE YOUR ILLUSION-Tour-Line-ups von Guns N’ Roses: Slash, Duff McKagan, Schlagzeuger Matt Sorum und Gitarrist Gilby Clarke.

Wäre Rock’n’Roll Fußball, dann stünden die Kings Of Chaos in der oberen Tabellenhälfte der ersten Liga. Zusammen haben sie mehr als 200 Millionen Platten verkauft und jene Art von Wohlstand angehäuft, mit der sich der Lebensstil eines nicht übermäßig verschwenderischen zentralamerikanischen Diktators finanzieren ließe. Je nach persönlicher Sichtweise sind sie entweder die berühmteste Cover-Band oder die erste Milliarden-Dollar-Supergroup der Welt. Dazu Duff McKagan: „Es ist Def Leppard plus Guns N’ Roses plus Deep Purple. Ein starkes Line-up, nicht wahr?“ Man kann ihm nicht wirklich widersprechen.

Südafrika ist zwar kein weißer Fleck auf der Rock-Landkarte, aber es gehört bestimmt nicht zu den Standardstationen des internationalen Tourneegeschäfts. Die Logistik, eine Band hierher zu bringen, ist kompliziert und kostspielig: Ein Flug aus London dauert elf, die Anreise aus Los Angeles an die 30 Stunden. Die Tatsache, dass man in diesem Teil der Erde nicht ausgedehnt touren kann, bedeutet, dass es sich nur die Megabands – Metallica, Linkin Park oder die Red Hot Chili Peppers – leisten können, hier zu spielen.

Doch es ist den Aufwand wert, allein schon für die Erfahrung, an einem einzigartigen Ort zu sein. Kapstadt breitet sich glorreich in der brennenden Sonne der Westküste des Landes aus. Das auffälligste Wahrzeichen ist der Tafelberg, ein 1087 Meter hoher Felsbrocken, der sich unpassenderweise mitten in der Stadt befindet. Seit Mitte der 90er Jahre ist das Land zwar nicht mehr international geächtet, aber die Wunden der Apartheid sind nach wie vor sichtbar, sowohl in den Townships, die sich an der Straße vom Flughafen entlang reihen, als auch in den Hütten mit Blechdach – nicht genehmigt und kaum bewohnbar –, die überall aus dem Boden gewachsen sind. Wo jedoch Wohlstand existiert, ist er auch für alle sichtbar: Üppig ausstaffierte Häuser, mehrere Millionen Rand teuer, säumen die Strände.

Vielsagend wird jedes Haus von Stacheldraht umzäunt, der ungebetene Gäste fernhalten soll. Und falls das nicht reicht, sorgen die Schusswaffen, die fast jeder Hausbesitzer hat, in der Regel für Abhilfe. Es gibt viele Viertel in Kapstadt, in die man sich bei Dunkelheit nicht wagen sollte. Und eine ganze Menge, die man auch bei Tageslicht besser meidet. Vom Hotel zur Halle bewegt sich die Band in einem Konvoi aus Vans mit Wachpersonal. Dabei geht es nicht nur um Bequemlichkeit, sondern auch um Sicherheit. „Da sind viele Wertsachen in den Autos“, sagt ein Begleiter der Band und bezieht sich damit auf die Mitglieder, nicht ihren Schmuck.

Nur zwei der neun Musiker, aus denen die Kings Of Chaos bestehen, waren schon mal hier. Def Leppard tourten 1997 durch Südafrika, während Ed Roland sowohl mit Collective Soul als auch solo zu Besuch war. Selbst Guns N’ Roses schafften es im Zenit ihrer Karriere Anfang der 90er nicht hierher, auch wenn das weniger mit ihren Ansichten zur Apartheid zu tun hatte als mit der Tatsache, dass sie es einfach nicht auf die Reihe bekamen. „Wir sprachen darüber“, sagt Slash typisch nonchalant, „so nach dem Motto, ‚lasst es uns tun, nur, um allen damit auf den Sack zu gehen’, aber es kam nie dazu.“

Doch das war damals und jetzt ist heute. Vorbei die Tage, als sich Queen heftigster Kritik stellen mussten, weil sie im berüchtigten Resort Sun City spielten (wo die Kings Of Chaos am nächsten Wochenende zwei Konzerte geben werden). Heute ist Südafrika definitiv „open for business“ für internationale Acts. Und in einer Zeit, in der selbst die Erfolgreichsten unter ihnen an sinkenden Platten- und Ticketverkäufen leiden, macht es Sinn, einen reisenden Zirkus in die weniger gesättigten Erdteile zu bringen, vor allem, wenn Geld auf dem Tisch liegt.
Was genau sind nun also die Kings Of Chaos? Das ist eine Frage, deren Beantwortung sogar der Band schwerfällt. „Es ist ein Konglomerat verschiedener Musiker“, so Duff McKagan, „die Stücke von jemandem spielen, der auf dieser Bühne steht. Es ist ein Haufen Typen, die sich ihren Platz im Rock’n’Roll verdient haben.“ Sind sie also eine Cover-Band? „[denkt ein paar Sekunden nach] Äh…nee, nicht wirklich“, sagt er, was auch nicht hilfreich ist.

Wenn es ein Zentrum gibt, um dass sich Kings Of Chaos drehen, ist es Matt Sorum. Es ist die ultimative Rache eines Schlagzeugers: Er ist es, der die Anrufe machte, auf der Bühne das Sagen hat und sogar die Setlist auswählt. Joe Elliott – von seinen eigenen Bands Down’N’Outz und The Cybernauts mit solchen Geschichten vertraut – nennt Sorum „den Boss“. „Ich bin der Boss“, sagt Sorum und lächelt so selig, wie das nur ein 52-jähriger kalifornischer Rockstar kann. Er sitzt in seiner geschmackvoll eingerichteten, stimmungsbeleuchteten Star Lounge (Normalsterbliche nennen es Garderobe). „Ich habe immer versucht, der Boss zu sein. Ich habe nur nie rausgekriegt, wie das geht. Schlagzeuger werden immer übergangen und respektlos behandelt – du bist der Typ am hinteren Bühnenrand ohne Beleuchtung.“

Sorum hat diesbezüglich reichlich Erfahrung: Er gehört zu Camp Freddy, der Cover-Band, die er vor zehn Jahren mit Billy Morrison gründete. Doch wo Camp Freddy einfach nur als netter Abend für ein paar Sunset-Strip-Berühmtheiten existieren, sind Kings Of Chaos ein wesentlich ernsthafteres – und lukrativeres – Projekt. „Als das alles mit Velvet Revolver in die Binsen ging, dachte ich, fuck, kann ich noch eine Band zusammentrommeln? Das ist eine Menge fucking Arbeit – du bist da neun Monate unterwegs auf Tour, um eine Marke zu etablieren.“
Stattdessen sprach er mit Duff McKagan darüber, sich für eine kleine Tour zusammenzutun. „Dann sagte Duff: ‚Wieso holen wir nicht ein paar Jungs ins Boot, spielen unsere Songs und haben Spaß?’ Und ich sagte, ja, das klingt cool – ich kann mal meine Freunde fragen, wir können eine ordentliche Tour machen, gut bezahlt werden, in schönen Hotels absteigen.“ Und wie hat er entschieden, wer eingeladen wird? „Mit vielen dieser Typen verbindet mich eine gemeinsame Vergangenheit, und das ist ein wichtiger Grund dafür, dass ich sie angerufen habe. Ich habe ein gutes Empfinden dafür, wer ein Arschloch und ist und wer nicht.“ Und wieder dieses kalifornische Grinsen. „Die Bedingungen waren: kein Drama, kein Bullshit, kein Streit, keine Egos. Kommt einfach und spielt.“

Der Name Kings Of Chaos schwirrte schon seit mindestens 15 Jahren in Sorums Kopf herum. Ursprünglich wollte er ihn für die Supergroup verwenden, die er Mitte der 90er mit McKagan, Sex-Pistols-Gitarrist Steve Jones und Duran-Duran-Bassist John Taylor gegründet hatte, aber sie entschieden sich stattdessen für Neurotic Boy Outsiders. Die Ironie dabei ist, dass der Backstage-Bereich der Kings Of Chaos nicht chaotisch ist, sondern so aufgeräumt, als wenn er von der Kapstädter Zweigstelle der Heilsarmee organisiert worden wäre. Es findet sich kaum ein Tropfen Alkohol, von Drogen ganz zu schweigen, was allerdings nicht wirklich überraschend ist, wenn man bedenkt, dass mindestens ein Drittel der Beteiligten einstige Alkoholiker oder Junkies sind. Es spricht Bände über den Zustand des Rock’n’Roll im Jahre 2013, wenn man hört, wie ein Crewmitglied Gurken-und-Sellerie-Smoothies vor dem Zubettgehen empfiehlt – anscheinend sind sie „extrem gut für die Haut“. Nun gut.
Dafür findet man einen spürbaren Kameradschaftsgeist. Sorums „kein Drama, kein Bullshit“ klingt auf dem Papier vielleicht etwas abgedroschen, doch vor Ort scheint es der Wahrheit zu entsprechen. Sorum und Slash haben als einzige eigene Garderoben. Die anderen haben kein Problem damit, sich eine zu zweit zu teilen oder, wie Myles Kennedy, gleich in ein anderes Stockwerk des Gebäudes ausquartiert zu werden, und niemand macht deswegen einen Aufstand.

Als ich einen Blick in den Green Room werfe, sehe ich, wie Slash, McKagan, Gilby Clarke und Dave Kushner auf den Sofas sitzen und eine akustische Version von ›Knockin’ On Heaven’s Door‹ spielen. Zwei Türen weiter führt Joe Elliott zur gleichen Zeit Glenn Hughes durch die Gesangsnuancen von ›Animal‹. „Komm rein“, ruft Elliott, als sie fertig sind. „Willkommen im Zimmer der Trällerburschen. Sie wollten uns eigentlich nach oben verbannen, aber ich sagte: ‚Äh, nein danke. Myles Kennedy kann das machen’.“

Der Mann aus Yorkshire war schon früh Teil dieses Projekts. Er kennt Guns N’ Roses, seit sie sich beim 1991er-Tribute-Konzert für Freddie Mercury begegneten. Als Sorum anfragte, ob er interessiert sei, zögerte er nicht lange. „Er sagte: ‚Willst du auf diesen verrückten kleinen Zug aufspringen? Es wird ein großer Spaß’. Das war es, was hängenblieb: Spaß. Es ist spontan.“ Elliott legt viel Wert darauf, den Spaßaspekt zu betonen, und er ist nicht alleine: Sorum und McKagan sagen exakt dasselbe, unabhängig von einander. „Fuck yeah“, sagt der Bassist, „es macht eine Menge Spaß.“

Ihr erster Versuch sah allerdings nicht sehr lustig aus. Letztes Jahr flogen sie mit Gene Simmons, Sebastian Bach und The-Cult-Gitarrist Billy Duffy im Schlepptau für eine Kurztour unter dem Namen Rock And Roll All Stars nach Südamerika. Zehn Konzerte waren geplant, doch sie spielten nur vier. Ein Debakel. „Es war ganz klassisch“, so Elliott. „Wir saßen in einem alten Flugzeug aus den 70ern, mit einem Promoter aus den 70ern, der all die Dinge tat, die Promoter aus den 70ern tun. Er kümmerte sich nicht richtig um die örtlichen Veranstalter. Sie wollten uns nicht bezahlen. Und wenn sie uns nicht bezahlten, spielten wir eben nicht.“

Von außen betrachtet, hatten sie sich mit dieser Episode keinen Gefallen getan. Im besten Fall würden sie als ein Haufen reicher Rockstars durchgehen, die ihre Bräune auffrischen wollen und sich für die Unannehmlichkeit fürstlich entlohnen lassen. Im schlimmsten Fall war es ein zynischer Versuch, abseits der Öffentlichkeit Geld abzustauben. Elliott wartet nur darauf und hat seine Verteidigung schon einstudiert: „Die Leute, die uns dafür kritisieren, verstehen überhaupt nicht, worum es geht. Wir tun das, weil es eine Chance ist, etwas anderes zu machen. Du steigst aus dem Hamsterrad und vielleicht bringst du was in deinen Hauptjob zurück. Es ist nicht so, als ob wir das Geld bräuchten.“

Eine Neuauflage des Desasters von Südamerika steht hier garantiert nicht auf dem Programm. Andy MacPherson hat sie hierher gebracht, ein übernatürlich freundlicher Kapstädter, der sowohl als Promoter als auch als Musiker tätig ist. Er weiß, dass das für Südafrikas Konzertszene genauso wichtig ist wie für die Band selbst. „Hier kommt nun mal nicht jede Band vorbei“, sagt er, „aber wenn diese Jungs nach Hause fahren und anderen Musikern sagen, dass sie hier eine tolle Zeit hatten, kommen hoffentlich mehr Bands.“

MacPherson sorgt dafür, dass der rote Teppich ausgerollt wird. An ihrem freien Tag organisiert er einen Ausflug auf den Tafelberg, den man mit einer schwindelerregend steilen Seilbahn erreicht. Danach folgt ein üppiges Mittagessen in einem Fünf-Sterne-Strand-Lodge, in das man wiederum nur über eine Bergstraße gelangt, die sich Hunderte von Metern über dem Ozean entlang windet. Starke Nerven braucht man für beides: Ein versagendes Seilbahnkabel oder ein plötzlicher Reifenplatzer, und Rockstars im Wert von mehreren Millionen Dollar wären dahin.

Doch natürlich muss man sich auch mit der schnöden Realität des Lebens auf Tour auseinandersetzen. Selbst Multimillionäre kommen nicht um den Soundcheck vor der Show herum. Sorum, ganz der Chef, führt von hinten an, während diverse Musiker und Crewmitglieder kommen und gehen und kaum verständliches Fachchinesisch über Pedale und Monitor-Lautstärken murmeln. Einmal scheitert Sorum am Ende von Def Leppards ›Animal‹. Elliott erklärt es ihm geduldig, während Duff McKagan zusieht. An diesem Punkt begreift man, wie unglaublich surreal das ist: Def Leppard mit der Rhythmusgruppe von Guns N’ Roses. „Für uns war das auch etwas seltsam“, sagt McKagan eine Stunde später, und seine Stimme hallt durch die große, grell beleuchtete Garderobe, die er sich mit Gilby Clarke teilt. „Hätte nie gedacht, einmal ›Animal‹ zu spielen.“

Der Kern dieser Band, mit Ausnahme von Hughes, ist mehr oder weniger derselben Generation entsprungen und dominierte den Rock ungefähr zur gleichen Zeit. Man kommt nicht umhin, sich zu fragen, wie es gewesen wäre, wenn es damals passiert wäre. „Wenn wir das vor 25 Jahren gemacht hätten, ja, dann hätte das einen anderen Vibe gehabt“, so McKagan. „Andererseits wäre das vor 25 Jahren wahrscheinlich nicht passiert, weil wir ja alle unser eigenes Ding am Laufen hatten.“

Natürlich hat jeder hier auch heute noch sein eigenes Ding am Laufen, was ein logistischer Kraftakt ist für die Leute, die versuchen, neun Musiker in denselben Raum zu bekommen. Diese Aufgabe fällt Steve Wood zu, einem charmant rasant redenden Briten, der in L.A. lebt. Wood ist einer der Manager von Alter Bridge und dafür verantwortlich, seine Schützlinge in diesen Saal am anderen Ende der Welt zu verfrachten. „Oh, es ist ein Alptraum“, sagt er ganz entspannt und nur halb im Scherz. Es wäre leicht, wenn keiner dieser Typen etwas anderes täte, aber sie haben alle mindestens eine Band, manche von ihnen zwei oder drei. Jeder hat Anwälte, Agenten, Manager. Es ist Geld im Spiel und alle wollen sicherstellen, dass ihr Künstler denkt, er mache einen guten Job für sie.“ Er zuckt mit den Schultern. „Ein Haufen Arbeit.“ Ist das der Grund, warum noch nie zuvor jemand versucht hat, das zu tun? „Genau. Es ist eine große Herausforderung. Und man braucht Leute von einem gewissen Kaliber. Im Prinzip brauchst du Megastars. Nun, wir haben vier der Jungs von Guns N’ Roses. Das sind viermal so viele, wie die echten Guns N’ Roses mittlerweile haben.“

Dies ist, abgesehen von ein paar Stücken bei der Rock-And-Roll-Hall-Of-Fame-Zeremonie letzten Jahres, das erste Mal in fast 20 Jahren, dass die USE YOUR ILLUSION-Besetzung minus Axl zusammen gespielt hat, und das könnte viele Leute interessieren – doch als ich das zu Duff McKagan sage, sieht er überrascht aus. „Oh wow, das ist wahr. Ich kann mich nicht mal daran erinnern, welche vier von uns damals gespielt haben. Ich habe nie darüber nachgedacht, bis du es gerade erwähnt hast.“ Wirklich? Das ist doch eine ziemlich große Sache. „Ja, das ist es wohl. Nun ja, Gilby ist mein Nachbar, wir sind Freunde, er kam mit, um das Ding in der Rock And Roll Hall Of Fame mit uns zu machen.“

Scott Weiland wäre verfügbar. Schon mal daran gedacht, ihn zu fragen? „Haha, nein. Er ist, äh… Du siehst, wie es hier läuft – jeder erscheint pünktlich und macht seinen Job. Ich denke einfach nicht, dass er das kann.“ McKagan ist sich seiner Geschichte absolut bewusst. Einige Stunden später wird er für das Cover der britischen CLASSIC ROCK fotografiert, in einem Flur backstage, kurz bevor die Band auf die Bühne geht. Der Fotograf hat ein kleines Problem und fängt an, an seiner Kamera rumzufummeln. „Komm schon, Mann, du lässt die Leute warten“, sagt der Bassist. „Ich habe schon mit Sängern wie dir gearbeitet“. Er wirft mir einen wissenden Blick zu. „Hey, ich sagte Sängern.“

Während der Akustik-Session bei der ersten der beiden Kings-Of-Chaos-Shows gibt es einen wirklich erstaunlichen Moment. Während der Rest der Band im Halbkreis auf den Sofas im hinteren Bühnenbereich sitzt, tritt Glenn Hughes ans Mikrofon, um ›Mistreated‹ zu singen, die sich langsam aufbauende Ballade von Deep Purples Album BURN. Was als einfache Unplugged-Version eines Stücks beginnt, das offenbar ziemlich vielen Leuten hier nicht sehr geläufig ist, verwandelt sich allmählich in eine Demonstration von Hughes’ Gesangsqualitäten. Während sich seine Stimmakrobatik entfaltet, sieht man Blicke echter Überraschung auf den Gesichtern der Band hinter ihm, die sich bald in Erstaunen verwandelt. Als er sechs oder sieben Minuten später zum Ende kommt, stehen alle auf und applaudieren ebenso hingerissen wie das Publikum. Es ist eine der brillantesten Gesangsdarbietungen, die jemals jemand in diesem Raum gehört hat.

Hughes, der eine warme Intensität ausstrahlt und sich für seine 61 Jahre trotz seiner turbulenten Vergangenheit gut gehalten hat, ist auf Sorums Anfrage hier. Der Schlagzeuger ist ein riesiger Deep-Purple-Fan – „sogar mehr als Zeppelin oder Sabbath“, wie er bekundet – und es war Sorum, der ihn bat, ›Mistreated‹ zu singen. Hughes schätzt mehr als irgendwer sonst den Wert einer funktionierenden Gruppe. Black Country Communion, sein jüngstes Projekt mit Joe Bonamassa und Jason Bonham, hat seinen Marktwert so hoch wie lange nicht mehr geschraubt. In Sachen Starpower ist das hier BCC hoch neun, und Hughes denkt schon über die Zukunft nach. „Ich habe Rob Halford eingeladen“, sagt er. „Er wäre toll für bestimmte Märkte. Steven Tyler hätte ich sehr gerne dabei. Wir haben in Australien mit Aerosmith gespielt und er hat mich umgehauen.“

Tyler ist der Traumkandidat für Kings Of Chaos. Jeder, mit dem ich spreche, erwähnt seinen Namen, weshalb man sich fragen muss, ob entsprechende Anfragen schon erfolgt sind. Joe Elliott fügt der Wunschliste noch Robin Zander und Sammy Hagar hinzu. Duff McKagan, ganz der Punkrocker, sagt, er hätte gerne Iggy Pop und den Stooges-Mitstreiter James Williamson an Bord, ebenso wie den einstigen The-Damned-Gitarristen Brian James. „Matt und ich haben uns darüber unterhalten, dass wir die Punk-Version der Kings Of Chaos machen könnten, vielleicht etwas in einem kleineren Maßstab“, sagt er. Sorum wiederum würde gerne Chester Bennington von Linkin Park und Corey Taylor von Slipknot ins Boot holen, ganz zu schweigen von ein paar noch größeren Namen. „Jimmy Page wäre cool. Und Keith Richards. Ich habe Keith Richards sogar angerufen deswegen. Ich sagte: ‚Wie wär’s, wenn du einfach nur zum Jammen vorbei kommst?’“ Und was hat er gesagt? Er lacht. „Sein Manager sagte: ‚Keith hat schon eine Band. Sie heißt The Rolling Stones’.“

Auch in einem Rudel von platinschweren Rockstars gibt es eine Hierarchie. Wenn die GN’R/Def-Leppard/Deep-Purple-Achse die Hauptattraktion ist, sind Gilby Clarke und Dave Kushner essenzielle Unterstützung. Ersterer sieht mit seinem pechschwarzen Haar und dem „Pirates Of The Caribbean“-Bart ziemlich schnittig aus, Letzterer ist eine eher unauffällige, aber freundliche Erscheinung, deren einziges Zugeständnis an den Rockstar-Look in einem Stierhorn-Schnurrbart besteht, der ihn aussehen lässt wie ein verirrtes Mitglied der Village People. Kushner hat wohl den härtesten Job auf der Bühne, schließlich muss er die Riff-Pyrotechnik eines Ritchie Blackmore bei den Deep-Purple-Stücken heraufbeschwören. „Eine ganz schöne Herausforderung. Ich habe ihn mir stundenlang auf YouTube angesehen und seine Parts gespielt. Aber wenn man mal drin ist, macht es viel Spaß.“

Wenn Kushner der Ruhige bei den Kings Of Chaos ist, so ist Ed Roland das Überraschungspaket. Während der Rest der Band sich in den 80ern (oder im Fall von Glenn Hughes den 70ern) einen Namen gemacht hat, ist der Sänger von Collective Soul ein Star der 90er. Seine Band war eine von vielen, die nach Nirvana die Szene dominierten. In den USA gelang ihr eine Reihe von Platinalben. In Europa sind sie zwar nie so richtig eingeschlagen, in Südafrika hatten sie dagegen mehrere echte Hits und waren folglich schon mehrmals hier auf Tour – tatsächlich spielen die Kings Of Chaos zu einem nicht unwesentlichen Teil hier, weil Roland es vorschlug. Er ist zwar selbst erfolgreich, doch in so illustrer Gesellschaft ist er auch immer noch ehrfürchtiger Fan. „Ich war in der örtlichen Crew, als Def Leppard 1988 in Atlanta spielten“, verrät er. „Ich habe immer noch das Shirt. Und jetzt stehe ich buchstäblich neben Joe Elliott auf der Bühne. Guns N’ Roses waren Teil meiner musikalischen Erziehung. Und was Slash macht…er ist wie ein Orchester für mich.“

Und so kommen wir zu Slash. Dies ist das erste Mal, dass er mit Kings Of Chaos spielt. Er ist zweifellos einer der größten Publikumsmagneten, aber man kann nur schwer festmachen, was sein Platz in diesem großen Ganzen ist. Wie Sorum hat er seine eigene Star Lounge. Aber anders als seine Kollegen hält er sich größtenteils abseits von den anderen auf. In der Halle zieht er sich mit seiner Frau Perla und ihren beiden kleinen Kindern zurück. Als alle an ihrem freien Tag Essen gehen, sitzt er an einem eigenen Tisch. Es herrschen keine schlechten Vibes, er zeigt keine Allüren, aber anders als die anderen bleibt er sehr reserviert.

Man spürt, dass es hier um Politik geht. Slash hat einen anderen Manager als alle anderen, weswegen er zu einem gewissen Grad anders behandelt wird. Mir wird mitgeteilt, dass er zwar ein Interview geben wird, aber mit Bedingungen: Es muss gemeinsam mit Myles Kennedy sein und er will über die gemeinsame Band reden, nicht über die Kings Of Chaos. Wir sollen offenbar klarstellen, dass Slash bei diesen Konzerten eher ein Special Guest ist als ein Teil der Band, aber auf Fotos muss er in der Mitte stehen. All das geht zwar aller Wahrscheinlichkeit nicht von dem gelassenen Gitarristen aus, doch es widerspricht dem „Kein Bullshit“-Prinzip und sorgt auf jeden Fall für ein kurzes, gestelztes Interview bei Caesar Salad im Catering-Bereich. Hier sind die editierten „Highlights“.

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Also, Slash, was treibst du gerade so?
Jetzt? Ich bin nach Hause gekommen und habe mit der Arbeit an „Nothing To Fear“ [dem Horrorfilm, den er produziert] begonnen. Das ist nun fertig, aber ich habe gerade erst das Mixen und Mastern abgeschlossen. Und ich arbeite ständig an Material für unsere nächste Platte.

Ist das hier anders als in einer normalen Band?
Natürlich sehr anders. Aber, weißt du, ich kenne viele dieser Jungs schon die meiste Zeit meines Lebens.

Hattest du Mitspracherecht bei der Songauswahl?
Nicht wirklich. Matt hat das Sagen. Aber wir haben alles noch mal geändert. Er ließ uns ein paar Stücke spielen, die wir dann abgewandelt haben.

Potenziell sind da eine Menge Egos auf der Bühne. Wie gehst du damit um?
Es geht hier nicht um Egos. Es geht darum, fucking Spaß zu haben.

Kannst du das mit deinem Hauptjob vereinbaren? Wenn Matt wieder anriefe und sagte: „Hast du Lust, es noch mal zu tun?“, was würdest du sagen?
Yeah…ich jamme viel, also liebe ich es, mit Leuten da oben zu stehen. Deine eigene Band am Laufen zu halten, ist mit einem gewissen Druck verbunden, du musst in Form bleiben, immer Songs schreiben usw. Und du hast in deine eigene Band investiert. Aber das ist einfach eine Sache, wo du auf die Bühne gehst und spielst, und das ist etwas entspannter. Ich liebe es, zu jammen, weil es mich herausfordert.

Heißt das also ja oder nein?
Keine Ahnung. Wir werden sehen.

Myles Kennedy wiederum hat kein Problem damit, über seine Rolle bei Kings Of Chaos zu sprechen. Er ist das Mädchen für alles und spielt die Rollen von Axl Rose, Scott Weiland und bei ›Communication Breakdown‹ sogar Robert Plant. Kennedy stieß in letzter Sekunde zum Line-up, nachdem Sebastian Bach ausstieg, um eine Reality-TV-Show zu machen. Als er den Anruf bekam, war er gerade auf Tour mit Slash und arbeitete parallel am neuen Alter-Bridge-Album. „Das ist ein Mindfuck“, sagt er an dem ausgelagerten Stützpunkt, der seine Garderobe ist. „Aber in den letzten Jahren war das bei mir Normalzustand.“

Kennedy ist ein bescheidener Mann und kennt seinen Platz in dieser illustren Gesellschaft. Er fühle sich wie der Junge aus Foreigners ›Juke Box Hero‹, der anfängt, seine Lieblingsbands aus dem Publikum anzusehen, bevor er auf der Bühne zu ihnen stößt. Man kann die Ehrfurcht förmlich in seinem Gesicht sehen, wenn er ›Sweet Child O’ Mine‹ oder ›Paradise City‹ singt. „So ist das eigentlich die ganze Zeit“, lacht er. „Es gab viele Momente, in denen ich mich fragte, wieso bin ich fucking hier?“

Kings Of Chaos sind im Moment Kennedys dritte Band neben Alter Bridge und seiner Kollaboration mit Slash. Macht er so viel, weil ein Teil von ihm befürchtet, dass es alles wieder vorbei sein könnte? „Das auch, ja. Es hat sehr, sehr, sehr lange gedauert, bis ich diese Chancen bekommen habe, und ich habe das Gefühl, dass es alles verschwinden wird, wenn ich kürzer trete. Und letztendlich liebe ich es. Es ist fantastisch.“ Er entschuldigt sich und sagt, er müsse sich warm singen gehen. „Ich muss ziemlich verrücktes Zeug machen. Glaub mir, das willst du nicht hören.“ Wir nehmen ihn beim Wort.

Während die Stimmung backstage so entspannt ist, dass es schon ans Komatöse grenzt, sieht es vor der Bühne ganz anders aus. Dieses elektrische Knistern froher Erwartung spürt man nur noch in einem Publikum, dessen Durst nach solchen Ereignissen noch nicht durch Übersättigung gestillt wurde. Gut zwei Drittel der je 7.000 Zuschauer, die an beiden Abenden das GrandWest füllen, tragen T-Shirts von Bands, deren Mitglieder hier auf der Bühne stehen.
Aber Kings Of Chaos haben auch alles richtig gemacht. Sie haben nicht nur eine Marktlücke entdeckt, sie haben auch beschlossen, weit abseits der medialen Aufmerksamkeit an den Start zu gehen. Joe Elliott: „Im UK würden die Kritiker uns niedermachen. Sie würden einfach nur sagen, ‚warum?’. Wenn man damit aber an Orte geht, die noch hungrig auf Musik sind, verstehen sie es.“

Sobald das Intro vom Band in ›Highway Star‹ übergeht, ist klar, dass hier niemand niedergemacht werden wird. Wo internationale Acts so selten vorbeischauen, wird man seinen Abend nicht damit verbringen, Flaschen auf die Bühne zu werfen. Und dass Kings Of Chaos im Kollektiv den ein oder anderen Hit vorzuweisen haben, kann auch nicht schaden.

Die Show besteht aus drei abgegrenzten Teilen, bei denen die Sänger und Gitarristen im Schichtbetrieb arbeiten (nur Sorum und McKagan verlassen die Bühne nie). Erst kommt die Greatest-Hits-Strecke, dann die Sofa-Akustik-Session, und im dritten Teil fahren sie die wirklich großen Kaliber auf. Jeder kriegt seinen Moment im Rampenlicht: Velvet Revolver sind mit zwei Stücken vertreten, Collective Soul, Def Leppard und Deep Purple je drei. Doch es ist unvermeidlich, dass Guns N’ Roses mit vier Stücken – fünf, wenn man ›Knockin’ On Heaven’s Door‹ mit Gilby Clarke am Mikro mitzählt – am meisten Platz auf der Setlist beanspruchen. Dazu kommen noch ein paar Coverversionen – ›Communication Breakdown‹, ›Tie Your Mother Down‹ und ›All The Young Dudes‹ – und man fragt sich, warum das vorher noch niemand getan hat.

Wie diese Musiker aufeinanderprallen, ist sowohl beruhigend vertraut als auch verwirrend eigenartig. McKagan spielt Bass auf ›Animal‹? Seltsam. Slash dreht ›Communication Breakdown‹ durch die Mangel? Komisch. Ed Roland im weißen Anzug windet sich durch ›Slither‹? Verrückt. Joe Elliott, Glenn Hughes und Ed Roland steuern Backing Vocals zu einem triumphalen ›Paradise City‹ bei? Einfach undenkbar. Und doch eigentümlich brillant.

Aber dann ist da die 64.000-€-Frage: Ist das nicht nur eine Cover-Band? Eine weltberühmte, sehr gut bezahlte Cover-Band, aber trotzdem immer noch eine Cover-Band? Denkt man zu viel darüber nach, könnte man ein künstlerisches Moraldilemma daraus machen. Oder man könnte sich abregen und es einfach als das genießen, was es ist: eine lebendige Jukebox. Um es einfacher zu formulieren: ein grandios unterhaltsamer Abend.

Nach der Show erwacht der Backstage-Bereich endlich zum Leben. Diverse Musiker und ihre Familien gehen in ihre Garderoben und kommen wieder raus, und sie gratulieren einander für ihre gut gemachte Arbeit. Joe Elliott ist in typisch überschwänglicher Stimmung. „Siehst du? Was habe ich gesagt? Es geht um Spaß. Wir, die Menge, alle. Wie hat es dir gefallen?“ Es war toll, aber vielleicht hättet ihr noch ein paar mehr Hits spielen können. „Was?“, stammelt er und sieht kurz erstaunt aus, bevor sein Ironiedetektor anschlägt. „Aber das ist es, was die Leute heutzutage wollen. Schreien sie nach einem neuen Def-Leppard-Album? Das denke ich ehrlich gesagt nicht. Wollen sie sehen, wie wir in Las Vegas HYSTERIA spielen? Fucking natürlich wollen sie das.“

Und das ist genau das, was Kings Of Chaos sind: eine Hitmaschine. Keine hohe Kunst, nicht mal mittelhohe Kunst, wenn wir schonungslos ehrlich sind. Aber eine garantiert tolle Zeit für alle Beteiligten, Publikum wie Musiker.
Wie man es in heutigem Marketingsprech sagt, sind Kings Of Chaos nicht nur eine Band, sondern auch eine Marke. Manche werden kommen, manche gehen, aber alle sind willkommen, solange sie ihre Hits mitbringen. Wo die Attraktivität von Dreifach-Headliner-Package-Tourneen schwindet, könnte dieses Prinzip richtig Reibach machen. Schon wird von Auftritten im Libanon geredet, einem weiteren der „musikhungrigen“ Orte, von denen Elliott sprach. Man kann sich prima vorstellen, wie Kings Of Chaos bei einem der Festivals nächstes Jahr weit oben auf dem Billing stehen, mit Steven Tyler oder Chester Bennington im Schlepptau. Matt Sorum hält den Ball flach: „Wir mögen einander, wir spielen gerne Rock’n’Roll, wir mögen Abwechslung.“ Wieder dieses kalifornische Lächeln. „So schwer zu verstehen ist das nicht, oder?“

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