Das Buch zum Jahr – ausführlich und brillant.
Der Londoner Jon Savage ist ein begnadeter Chronist der Pop- und Rockgeschichte. Mit „England’s Dreaming“ sezierte er 1991 die britische Punkrock-Historie, sein Großwerk „Teenage“ analysierte 2007 die Jugendbewegungen aus der Zeit vor dem Pop- und Rock-Urknall. Dabei zeigte er mit beeindruckender Akribie, dass schon Ende des 19. Jahrhunderts alles da war, wovon die Jugend später profitierte: der Mut zur Rebellion, die Dekadenz und Schludrigkeit, vor allem aber der große Bock darauf, cooler als die anderen zu sein. Mit seinem neuen Buch geht der charismatische Autor nun einen folgerichtigen Schritt: „1966“ blickt detailreich auf das Jahr, in dem in England und an vielen anderen Orten die Rockmusik explodierte. Savage hat seinem Werk zwölf Kapitel gegeben, für jeden Monat eines. Das klingt nach puristischer Rückschau, doch der Brite macht auf den 650 Seiten immer wieder das, was er besonders gut kann: Er beschreibt Phänomene und leitet daraus Theorien ab. Es geht natürlich um die Beatles und das swingende London, aber auch um LSD und den Krieg in Vietnam, Schwulenrechte und die Rassenproblematik, Außenseiterkunst und Feminismus. Savage zeigt, dass die Geschichte des Rock’n’Roll und das Jahr, in dem er die Welt auf den Kopf stellte, immer auch eine soziale und politische ist. Wer das dicke Buch vor sich liegen hat, wünscht sich vielleicht hier und da, Savage hätte sich kürzer gefasst. Aber der Mann nimmt seine Rolle ernst: Mehr Pop-Professor als Pop-Journalist. Unbedingt dazu hören: Die wunderbare Doppel-CD, die Savage quasi als Soundtrack zusammengestellt hat.
1966 – The Year The Decade Exploded
VON JON SAVAGE
FABER & FABER
8/10