Er ist wohl momentan der beschäftigste Mann im Musikgeschäft.
Ob solo, mit seiner Allstar-Band Black Country Communion, diversen Projekten oder ausgedehnten Tourneen – Joe Bonamassa sitzt niemals still. Warum sollte er auch? Schließlich läuft es augenblicklich mehr als gut für ihn. Und diese Erfolgswelle scheint auch mit seinem neuen Album DRIVING TOWARDS THE DAYLIGHT nicht zu verebben.
Es vergeht zurzeit kaum ein Monat, in dem man nicht in der Presse etwas Neues über Joe Bonamassa lesen kann: Entweder er bef indet sich auf Tournee und begeistert ein rasant größer werdendes Publikum mit seinen sensationellen Fähigkeiten. Oder aber er veröffentlicht gerade wieder einmal eine neue Scheibe, sei es unter eigenem Namen, als Mitglied der Supergroup Black Country Communion oder als Gast von Künstlern wie Beth Hart, Leslie West oder Henrik Freischlader. Bonamassa ist allgegenwärtig und augenscheinlich mit grenzenloser Kreativität gesegnet. Auf seinem neuesten Stu- diowerk DRIVING TOWARDS THE DAYLIGHT gelingt ihm ein stilistischer Spagat zwischen kernigem Rock und traditionellem Blues. Doch das Beispiel des verstorbenen Gary Moore zeigt, dass Bonamassa damit ein System-bedingt durchaus problematisches Feld beackert.
METAL MOORE
Denn der Blues war bislang eine Glaubensfrage. Hier ging es um Authentizität und Wahrhaftigkeit. Und um Themen wie Peer-Group und Zusammengehörigkeitsgefühl. Ähnlich wie im Jazz teilen sich auch im Blues engstirnige Puristen und tolerante Fusionisten das Terrain. Sie entscheiden: Wer ist anerkannt, wer bleibt draußen? Gary Moore war das Paradebeispiel des Geächteten. Der Ire kam vom Metal/Hard Rock, hatte in den Achtzigern seine Gibson Les Paul unter Hochdruck mal- trätiert und dabei weder in puncto Lautstärke noch Geschwindigkeit irgendwelche Zugeständnisse gemacht. Als Moore 1990 seiner harschen Gangart den Rücken kehrte und den Millionenseller STILL GOT THE BLUES veröffentlichte, war das Rock- und Mainstream-Publikum begeistert. Die elitäre Blues-Szene rümpfte dagegen verächtlich die Nase – zu wild, zu lärmend, zu rockig. Moores Reaktion auf die Frage, was sein eigener Beitrag zu dieser Stilrichtung gewesen sei, lautete stets: „Ich habe dem Blues die Lautstärke gebracht.“ Die Antwort war zweifelsohne korrekt, geholfen hat sie seiner Reputation indes nur wenig: Bis zu seinem Tod im Februar 2011 galt Moore als eigenwilliger Grenzgänger – bei den Fans beliebt, von Bluesmusikern dagegen skeptisch beäugt und als echter Kollege zumeist abgelehnt. Joe Bonamassa sollte seine nächsten Schritte also genau überdenken.
PARADIGMEN WECHSEL
Aber vielleicht schafft es Bonamassa ja auch, den dringend notwendig gewordenen Paradigmenwechsel herbeizuführen und Blues endlich als moderne, zukunftsweisende Musikrichtung ohne irgendwelche archaischen Dogmen zu etablieren. Sein neues Album DRIVING TOWARDS THE DAYLIGHT könnte dazu beitragen. Denn Bonamassa hat mit seinem zehnten Studiowerk eine Art Zwitter erschaffen, der trotz seines heterogenen Konzepts erstaunlich homogen klingt. Die Scheibe mischt traditionellen und modernen Blues mit Rock und leichtem Soul-Zungenschlag so ge-schickt, dass man fast von einem eigenen Genre sprechen konnte den Bluesamassa. „Für mich gibt es keine Regeln, also kann ich auch keine brechen“, erklärt der 35-Jährige selbstbewusst, wohlwissend, dass er momentan der größte Star der Szene ist.
Dies hängt allerdings auch mit seinem prominent besetzten Nebenschauplatz Black Country Communion zusammen, bei dem er mit Bassist Glenn Hughes (ehemals Deep Purple), Schlagzeuger Jason Bonham (Led Zeppelin) und Keyboarder Derek Sherinian (ehemals Dream Theater) einen kernigen 70er Jahre-Rock mit imposanter Laut- stärke zelebriert. Gary Moore wurde derlei Tun übelgenommen, Bonamassa dagegen scheint vom Chamäleon-Dasein in zwei unterschiedlichen Welten sogar Image-mäßig zu profitieren, auch wenn er immer wieder betont, dass „Black Country Communion nicht mein Baby ist, sondern das Projekt von Glenn. Ich bin nur Bandmitglied, eines von vieren. Und ich werde dieser Band so lange angehören, wie es mir Spaß macht. Zum reinen Rockmusiker werde ich dennoch nie werden, meine Heimat ist und bleibt der Blues.“
Ein klares Bekenntnis also, und dennoch so geschickt formuliert, dass es ihm beide Seiten offenhält. Bonamassa hat offenbar die generelle Akzeptanz aller Fans und schickt sich an, diese Position dafür zu nutzen, die öffentliche Wahrnehmung seiner Musik zu verändern. Dank Bonamassa scheinen allmählich endlich jene Diskussionen zu verstummen, die sich um Reinheitsgebote oder Grenzverletzungen drehen. Darf der Amerikaner von jetzt an also alles machen, ohne von irgendeiner Seite verbal angerempelt zu werden?
Die Voraussetzungen dafür könnten nicht besser sein: Sein Songwriting ist exorbitant, seine Stimme überzeugend und sein Gitarrenspiel einfach nur zum Niederknien. Dabei ist Bonamassa unverkennbar ein großer Fan des
1976 verstorbenen Briten Paul Kossoff, der in den frühen Siebzigern die Blues Rock-Truppe Free zu Ruhm und Ehre führte und –ähnlich wie der Amerikaner –laute wie leise Töne gleichermaßen beherrschte. Neuere Stücke
wie ›Dislocated Boy‹ oder der Titeltrack ›Driving Towards The Daylight‹ hätten auch von Kossoff respektive Free stammen können. Sie zeigen Bonamassa als heißen Bluesrocker, der dennoch nicht seine Ideale verrät.
HOWLIN WOLF SPRICHT
Zumal sich unter den elf Songs der neuen Scheibe gleich sechs Coverstücke bef inden: ›New Coat Of Paint‹ stammt vom großen Tom Waits, ›Lonely Town Lonely Street‹ von Bill Withers und ›A Place In My Heart‹ vom frühen Whitesnake-Gitarristen Bernie Marsden. Hinzu kommt Jimmy Barnes’ 1987er Hit ›Too Much Ain’t Enough Love‹, den
er auf DRIVING TOWARDS THE DAYLIGHT gleich eigenhändig mit eingesungen hat. Richtig tief in die Annalen des Blues taucht Bonamassa dann bei Howlin’ Wolfs ›Who’s Been Talking‹ und der Robert Johnson-Nummer ›Stones In My Passway‹ ein. Dass die meisten dieser Tracks nicht sofort als Fremdmaterial erkannt werden, liegt zum einen an Bonamassas famoser Kunst des Interpretierens. Andererseits aber auch daran, dass er – mit Ausnahme der Barnes-Nummer – nicht die offenkundigen Klassiker der jeweiligen Künstler ausgewählt hat. „Andere hätten sich von Robert Johnson vielleicht ›Cross Road Blues‹ oder ›Love In Vain‹ vorgenommen, aber ich bevorzuge eher unkonventionelle Schritte und genieße die Freiheit, jene Stücke auszuwählen, die mir persönlich am meisten bedeuten“, erklärt er. Man muss sagen: Der Spagat ist gelungen. Vorspann einen Tonschnipsel von Meister Wolf persönlich, aufgenommen im Jahr 1970: Howlin’ Wolf versucht, seine Mitmusiker aufs richtige Feeling einzuschwören. Vergeblich, wie Bonamassa findet: „Ich glaube, in dieser Konstellation konnte das Ergebnis nicht so ausfallen, wie er es sich vorgestellt hatte. Die Welten der Beteiligten waren damals einfach zu verschieden.“ Kleiner Hinweis dazu: Bonamassa spricht von niemand Geringeren als Eric Clapton, den beiden Rolling Stones-Musikern Charlie Watts und Bill Wyman sowie Steve Winwood, die seinerzeit recht hilflos versuchten, Wolfs Ansprüchen zu genügen. Doch aus Bonamassas Mund klingt die (recht unverblümte) Kritik an seinen berühmten Kolle- gen nicht etwa despektierlich, nicht mal ansatzweise nach Anmaßung oder gar Hybris, sondern wie aus der Sicht eines Musikers vorgenommen, der anhand solcher Beispiele verstehen lernen möchte, wie der traditionelle Blues funktioniert. Und wie man Schiffbruch vermeidet, wenn man ihn dann auch mal mit profaner Rockmusik ver- wässern möchte.
KEVIN SCHIRLEY – SCHMIEDEMEISTER DES ERFOLGS
Denn dass er dies trotz seiner Bekenntnisse zum unverfälschten Blues auch in Zukunft vorhat, zeigt ein Blick auf die Gastmusiker, die Bonamassa für das Album mit ins Studio eingeladen hat. Mit Aerosmith-Mitglied Brad Whitford und seinem Sohn Harrison Whitford spielen zwei Gitarris- ten auf der Scheibe, die nicht eben im Verdacht stehen, ihre Instrumente direkt am Ufer des Mis- sissippi erlernt zu haben. Dritter im Bunde ist Gitarrist Pat Thrall, ein weiterer Vertreter der eher handfesten Zunft. Die Idee, Verstärkung dieser Gewichtsklasse um Hilfe zu bitten, stammt allerdings vermutlich von Produzent Kevin Shirley. Denn der kommt vom Rock und steuert seit seiner Inthronisierung als omnipotenter Planungschef im Jahre 2006 die musikalischen Schritte Bonamassas. Shirley hat die Schatzkarte in der Tasche, er taxiert aus, wie weit sein Mandant gehen darf und wo zukünftig die wohltemperierte Grenzlinie zwi- schen Blues, Rock und Mainstream verläuft. Shirley war es auch, der seinen zurzeit wichtigsten Klienten vom adipösen Teenager in Schlab- berklamotten zum geschniegel- ten Gitarren-Gentleman in feinem Zwirn und mit passabler Figur mutieren ließ. Ein genialer Schach- zug, der das Profil des Amerika- ners deutlich geschärft hat. Jetzt bastelt Shirley daran, für Bonamas- sa den lukrativen Mainstream- Markt zu öffnen und ihn quasi zum Maß aller Dinge zu machen, wenn es um Glaubwürdigkeit geht: „Stücke wie ›Who’s Been Talking‹ oder ›Stones In My Passway‹ wur- den von Joe so interpretiert, wie sie unserer Ansicht nach in einen Rock-Kontext passen würden“, sagt Shirley, wohlwissend, dass derlei Aussagen gleichzeitig ein offenkundiges Manko zu kaschie- ren versuchen: Für ein Album mit ausschließlich eigenen Bonamas- sa-Nummern hätte vermutlich das Zeitfenster für DRIVING TO- WARDS THE DAYLIGHT gar nicht ge-reicht. Denn noch bevor die Scheibe überhaupt in den Plattenläden stand, sind bereits die Vorarbeiten zum nächsten Werk von Black Country Communion angelaufen. Die dritte Studioscheibe der Super- group soll noch 2012 erscheinen – ebenso wie ein weiteres gemeinsames Opus mit Beth Hart.
Es sind also auch Termin- und Sachzwänge, die Bonamassa zurzeit agieren lassen – Kon- zept hin oder her. Shirley als der Vater des Er- folges weiß genau, dass man das Eisen schmie- den muss, solange es heiß ist. Und Bonamassas künstlerischer Aggregatzustand befindet sich momentan auf dem absoluten Siedepunkt. „Ich versuche immer genau die Scheibe zu kompo- nieren, die für mich einen Sinn ergibt“, erläu- tert Bonamassa den im Vergleich zum Vorgän- ger DUST BOWL (2009) traditionelleren An- satz von DRIVING TOWARDS THE DAY- LIGHT – und fügt mit Blick auf die nächste Veröffentlichung von Black Country Commu- nion einen Satz hinzu, den sein Mentor Shirley garantiert gerne hört: „Und weshalb sollte ich mir selbst Konkurrenz machen?“