Im belgischen Dessel gibt sich an drei heißen Open Air-Tagen die Rock-Chefetage die Backstage-Containerklinken in die Hand. CLASSIC ROCK ist live dabei.
Es fängt langsam an. Zu langsam. Das passt nicht zu einem Song wie ›Love In An Elevator‹. Wer will schon in einem Fahrstuhlschacht stecken bleiben, während es doch eigentlich um heiße, ungezügelte Liebe geht. Doch Aerosmith machen bei ihrem Headliner-Auftritt im belgischen Dessel zunächst keine besonders agile Figur. Hüftsteif legen sie los, und auch ›Back In The Saddle‹ und ›Falling In Love (In Hard On The Knees)‹ kommt nicht so recht aus dem Quark. Dementsprechend ruhig ist auch das Publikum. Sicher: Aerosmith sind die letzte Band, der erste Tag beim Graspop Metal Meeting war drückend heiß, lang und mit etlichen anderen Höhepunkten gespickt. Doch ein bisschen mehr Euphorie hätten sich Steven Tyler und seine Crew wohl schon erwartet. Anfangs ist also auf beiden Seiten eher vorsichtiges Beschnuppern denn enthemmtes Rocken angesagt.
Damit geben sich Aerosmith aber nicht zufrieden. Gerade als man denkt, dass es heute wohl nichts mehr werden würde mit Hochspannungs-Riffs oder doch zumindest einem gepflegten Bluesrock, dreht die Truppe auf. Tyler lässt seine Glitzerumhänge und Mikroumwallungen hinter sich und legt aus tiefster Seele und vollster Kehle los (Höhepunkt: ›I Don’t Wanna Miss A Thing‹). Angepeitscht wird er von Joe Perry, der nicht mehr nur standardmäßig seine Hits runterzockt, sondern anfängt zu improvisieren. Hier ist sie, die alte (und hohe) Schule der Bühnenkunst – und Aerosmith sind in ihrem Element, ganz so, als hätte es die Streitigkeiten und Ausstiegsgerüchte Anfang des Jahres nicht gegeben. Und es sind ausgerechnet die Coversongs, ›Stop Messin’ Around‹ und ›Baby Please Don’t Go‹, die den US-Veteranen neue Energie verleiben, und die weitet sich wie ein Feuer auf die eigenen Stücke aus. Bei ›Sweet Emotion‹ zeigen sich erste Anzeichen eines Flächenbrands, und spätestens beim Zugabenblock, der erwartungsgemäß aus ›Dream On‹, ›Walk This Way‹ und ›Toys In The Attic‹ besteht, brennt auch das belgische Publikum lichterloh..
Die Stone Temple Pilots passen nicht so recht ins Billing des Graspop Metal Meeting – und daher verwundert es auch nicht, dass es recht leer vor der Hauptbühne ist, als Scott Weiland und seine Crew antreten. Schade, denn die Festivalgänger verpassen einen der beeindruckendsten Gigs des Festivals. Obwohl Weiland alles andere als nüchtern ist, wie seine Ansagen und seine auf Großbildleinwand übertragenen Gesichtszüge deutlich machen, kann er stimmlich zu 100 Prozent überzeugen und sorgt während des 45-Minuten-Sets für mehr als nur einen Gänsehaut-Moment. Auch optisch, die Band spielt vor einem riesigen, roten Backdrop, auf dem das aktuelle Albumcover prangt, geht hier einiges. Man fragt sich am Ende eigentlich nur eines: Wie gut wäre Weiland eigentlich erst, wenn er komplett von den Drogen runter wäre?
Während Lemmy Kilmister vor einigen Wochen noch in be-sorgniserregender Form war und auf der Bühne kaum ein klares Wort formulieren konnte, ist er diesmal wieder besser drauf: Die motörhead-Show stimmt, ›Iron Fist‹, ›Bomber‹, ›One Night Stand‹ und ›Ace Of Spades‹ sowieso – kein Wunder, dass sich am Ende beim Co-Headliner fast genauso viele Menschen vor der Bühne versammeln wie beim Haupt-Act Aerosmith.
RANDNOTIZEN
Die CLASSIC ROCK-Ehrennadel in Platin für einen gigantischen Graspop-Auftritt geht an Saxon. Hits pur, Stimmung top, genau die richtige Spielzeit und -länge. Kein Wunder, dass die Zeltbühne fast auseinander platzt.
Die deutsche Fraktion schlägt sich ebenfalls wacker: Doro Pesch sorgt mit einpeitschenden Hymnen wie ›All We Are‹ oder dem harten ›Burning The Witches‹ für Furore, ihr Landsmann Udo Dirkschneider mit ›Man And Machine‹ und ›Metal Heart‹.
Während Billy Talent trotz viel Energie und Bühnenaction beim belgischen Publikum gar nichts reißen können und um 14 Uhr in der brennenden Sonne verglühen, hat Slash es diesmal besser als bei Rock am Ring. Die Fans kennen auch die Songs seines Soloalbums und den Velvet Revolver-Kram, so dass nicht nur alle auf Guns N’Roses-Songs warten. Die kommen aber dann doch am besten an. Klar.
Airbourne schaffen es, mit ihrem Hochdruck-Rock gegen die parallel zockenden Schwarzmetaller Immortal anzubrettern, während am nächsten Morgen düsterer, progressiver Metal auf dem Programm steht: Evergrey schaffen es, auf der Hauptbühne schon für ihre Schwelgorgien zu sorgen, während Katatonia im randvollen Zelt ebenfalls die ersten Fan-Kehlen für den restlichen Tag aufwärmen.