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Golden Earring

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Golden Earring

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Die Kurven der Sophia Loren wirken auf die nicht mehr ganz jungen Herren von Golden Earring immer noch höchst anregend. Ein Foto des wohlgeformten italienischen Filmstars stand im Zimmer von Sänger Barry Hay. „Meine Schwiegermutter glaubte, das Foto sei das neue Cover. Ich entgegnete ihr, dass wir uns die Rechte daran nie leisten könnten, wir würden schlicht pleite gehen. Diese Geschichte erzählte ich George (Kooymans, Gitarre und Gesang), so kamen wir schließlich auf TITS ’N ASS.“ Ein ziemlich drastischer Titel, doch Hay weist darauf hin, dass der Begriff im Amerikanischen so viel heißt „wie picobello im Italienischen oder affentittengeil im Deutschen, alles ist perfekt“.

Rechnet man ihre Gründungsphase als Instrumentalband ein, dann gibt es Golden Earring seit 1961 – damit existiert der Vierer länger als die Rolling Stones. Benannt nach einem Lied von Marlene Dietrich, hießen sie anfangs The Golden Earrings, das s wurde 1969 abgehängt. Im Gegensatz zu den rollenden Steinen feiern die Holländer ihr 50. Jubiläum standesgemäß mit einem kompletten neuen Album. „Eigentlich hassen wir solche Formalien“, knurrt Hay, „aber die Die-Hard-Fans sahen das anders,“ sie hätten die 50 Jahre wohl auch ohne die Musiker zelebriert. Zudem brachte die niederländische Post aus diesem Anlass eine Sondermarke heraus. Für Hay ist TITS ’N ASS die beste Art, zu feiern, beweisen die wettergegerbten Vollblutrocker doch einmal mehr, über welche Klasse sie verfügen. Die neuen Lieder wachsen stetig, jeder Hörgang offenbart neue Details. Die Texte erscheinen anfangs plakativ, später zeigen sie immer neue Deutungsebenen auf, von denen sich viele mit dem Thema „Jugend und Alter“ befassen.

Angesichts der Güte des Albums könnte man als Fan fast sauer werden, dass das letzte Studiowerk, das ebenfalls großartige MILLBROOK U.S.A., geschlagene neun Jahre zurückliegt. „Wir waren halt immer unterwegs“, meint Kooymans etwas hilflos, „ich habe auch keine Erklärung dafür.“ Hay gibt den sinkenden Verkaufszahlen die Schuld: „Für uns sind Studioaufnahmen ein teures Hobby. Stattdessen haben wir lieber Live-Alben herausgebracht. Du bist natürlich enttäuscht, wenn du ein gutes Studioalbum veröffentlichst und es sich nicht verkauft…“ Inzwischen hat bei beiden ein Umdenkprozess eingesetzt. „Letztendlich machst du Musik doch für dich selbst. Du musst dir selbst beweisen, dass du immer noch kreativ bist. Sonst wirst du eine Jukebox deines eigenen Materials“, findet George. Und Barry berichtet, er habe kürzlich drei neue Songs geschrie-ben, leider für eine befreundete Band…

Zusätzlich zogen sich die Aufnahmen in die Länge, weil George unter einer hartnäckigen Virusinfektion seiner Stimmbänder litt. Außerdem hatte die Band eine Aufnahmesession in den Abbey Road Studios in London abgebrochen, weil sie mit den Ergebnissen nicht zufrieden war. „Am Ende haben wir wie in alten Zeiten gearbeitet und die Lieder in zehn Tagen in einem anderen englischen Studio eingespielt“, freut sich der Gitarrist. Es fällt auf, dass jeder Song einen anderen Charakter hat, die Band entwickelt eine enorme Vielfalt an Ideen. „Ich halte mich nicht an die Regeln, wechsle häufig die Gitarren und verbringe viel Zeit mit dem Schreiben. Das Songwriting ist das Wichtigste!“, betont George. Die Weiterentwicklung des Gitarristen hängt auch mit seinem neuen Partner Frank Carillo zusammen. Schon an MILL­BROOK U.S.A. hatte Carillo mitgewirkt, später bildeten er und George die Band Kooymans/Carillo. Zusammen nahmen sie das Album ON LOCATION (2010) auf, das hiermit allen Golden Earring-Fans noch einmal wärmstens empfohlen sei. „Frank ist sehr gut für ­George!“, findet Hay. „Ihr Stil ist völlig unterschiedlich, das wirkt sehr inspirierend. Wenn wir touren, versuchen wir stets, Frank einzufliegen.“ Während Carillo amerikanischen Roots-Rock und Blues spielt, kommt George eher aus der europäischen Melodic-Rock-Schule. „Heraus kommt Americana mit Golden Earring-Seele“, beschreibt Kooymans die Früchte ihrer Arbeit.

Zu den großartigen Melodien von TITS ’N ASS gesellt sich die farbige Lyrik von Barry Hay. Der Frontmann wurde in Indien geboren und wuchs mit der englischen Sprache auf. Nicht zuletzt deshalb nahmen die anderen den „native speaker“ 1970 in die Band auf. Er ist ein Meister der Wortspiele, der Provokationen und Poesie. „Wenn du älter wirst, denkst du über Jugend und Alter nach“, sagt er zum Hauptthema der Texte. „Einige Dinge habe ich selbst erlebt, andere denke ich mir aus. ›Over The Cliff Into The Deep Blue‹ handelt von einem persönlichen Erlebnis in Seattle, ›Still Got The Keys To My First Cadillac‹ dagegen ist ein romantischer Traum, eine Metapher, die dafür steht, dass du immer noch die gleichen Gefühle hast wie damals, dein Herz schlägt immer noch auf demselben Fleck.“

Zu den Charakteristika von Golden Earring zählen nicht zuletzt die Stimmen von Barry Hay und George Kooymans. Zum reifen Organ Hays gesellt sich die jugendlich hohe Stimme von Kooymans, singen beide zusammen, ergibt das eine ganz neue Farbe. Zu den nachdenklichen Liedern zählt ›Wanted By Women‹, das George alleine singt. Der Text stammt wiederum von Barry Hay. „Die Nummer handelt von einem Freund, er ist Architekt und Womanizer, er ist immer an Frauen interessiert. Sie mögen ihn, weil ihnen sein Stil gefällt. Ich wollte nicht, dass es von mir handelt, so stellte ich mir vor, es gehe um ein altes Rennpferd, das von Frauen geliebt wird. So wurde der Text interessanter für mich.“

Die Golden Earring der 60er, 70er und 80er stehen auch für das liberale Holland, Magnet der Hippies, Kiffer, Hausbesetzer, Feministinnen, Träumer und Freiheitsliebenden. Heute ist davon nicht mehr viel zu spüren. Nahezu alle Aspekte des kleinen Landes sind strikt reglementiert, jeder Quadratzentimeter Boden wird bewusst genutzt. Die Offenheit und Freundlichkeit ist einer Reserviertheit gewichen, die gelegentlich gar in Fremdenhass und Gewalt umschlägt. Kooymans war 1974 nach Belgien gezogen, um den hohen Steuern zu entgehen. „Mittlerweile ist es fast egal, wo man wohnt. Hier in Belgien zahlen wir beinah die höchsten Steuern in Europa. Aber ich will nicht zurück ziehen nach Den Haag. Ich verstehe inzwischen den Akzent der Leute hier, habe ein schönes Haus und ein Stückchen Wald, ich bleibe hier.“ Der Gitarrist ist seit 43 Jahren mit der Schwester des Bassisten Rinus Gerritsen verheiratet. Barry Hay lebt inzwischen auf der Karibikinsel Curaçao vor Venezuela, einem autonomen Landesteil des Königreichs Niederlande. „Damals herrschte eine andere Atmosphäre in Holland, früher war alles viel freier. Holland war ein Beispiel für andere Länder. Die Leute kamen her, um Haschisch zu rauchen – das hat sich alles stark verändert, heute kann man diese Freiheit nicht mehr tolerieren, es gibt zu viele Leute…“ Das rigide politische Klima im aktuellen Holland habe jedoch nichts mit seiner Entscheidung zu tun, nach Curaçao zu ziehen. „Es war Zufall, dass ich nach Curaçao kam. Eine Band hatte mich eingeladen, einen Gig mit ihr zu spielen. Meine Frau und ich haben uns sofort in die Insel verliebt, alles war entspannt und cool. Ich lebe jetzt seit sechs Jahren dort und habe es nie bereut, im Gegenteil. Die Sonne tut mir gut. Jeden Monat fliege ich hin und her.“

Zur Zeit ihres größten Hits ›Radar Love‹ (1973), der bis heute in keiner Classic Rock-Sammlung fehlen darf, versuchte die Band, auch in den USA Fuß zu fassen. „Wir hatten einen kleinen Mercedes-Bus und tourten ausgiebig durch die Staaten. Dummerweise waren wir nach der Rückkehr völlig erschöpft und hatten keine Power mehr, in Deutschland und anderen Ländern zu spielen. Das war ein Fehler, wie ich zugeben muss“, blickt Hay zurück und setzt knapp hinzu: „schlechtes Management“. Dabei managen sich die Musiker bekanntlich schon lange selber. Zusammen fällten sie Mitte der 90er eine weitere umstrittene Entscheidung, sie wollten nur noch in den Benelux-Staaten touren und höchstens für Festival- und Rockpalast-Auftritte nach Deutschland kommen. „Damals wollten wir entweder mit einer großen Produktion gastieren oder gar keine Konzerte geben“, erinnert Kooymans. „Die letzte große Tour haben wir 1991 gefahren, sie lief nicht so gut, wir wissen also, was es heißt, Geld zu verlieren. Folglich haben wir uns auf Benelux beschränkt.“ Trotzdem spielten Golden Earring immer noch bis zu 120 Gigs im Jahr, keine holländische Schulaula, kein belgisches Kulturhaus blieb verschont. Auch heute noch geben die kostenbewussten Veteranen 80 Konzerte im Jahr – und sichern sich so stetig fließende Einnahmen. Neben ›Radar Love‹ zählen ›Mad Love Is Comin’‹ (1976), ›Long Blond Animal‹ (1980), der MTV-Hit ›Twilight Zone‹ (1982) und ›Albino Moon‹ (2003) zu den großen Hits, die bei keinem Gig fehlen dürfen.

Ohne Zögern geben Hay und Kooymans zu, dass sie in ihrer langen Karriere das eine oder andere schwache Album abgeliefert haben. „Ich hatte einfach keine Ideen, wir hatten eine schwache Phase“, räumt Hay ein. „Wir nahmen die falschen Drogen. Damals haben wir nachts gearbeitet, heute arbeiten wir tagsüber. Das ist ein großer Unterschied! THE HOLE war ein schwarzes Loch und TO THE HILT ist auch nicht so doll, das waren Alben, die schwer für uns waren. Es war hart, etwas Vernünftiges auf dem Tonband zu finden“, sagt Barry über das kreative Tal, das die Band durchschritt. „Es ist immer schwierig, die Qualität hochzuhalten“, verteidigt sich Kooymans, „allerdings sind diese Aufnahmen auch übel produziert worden. Wir überlegen ernsthaft, sie noch einmal neu zu mixen.“ Doch wer würde sich angesichts der überwältigenden Fülle großartiger Songs und knackiger Alben über die wenigen Ausrutscher beschweren? Dafür gibt es einfach zu viele Geniestreiche, wie sie auch TITS ’N ASS zu bieten hat. Und so stellt sich zum Schluss die entscheidende Frage: Wie lange werden die Fans auf ein neues Album warten müssen? „Wir arbeiten daran“, antwortet George Kooymans, „gib uns zwei Jahre.“ Golden Earring krönen ihr 50-jähriges Jubiläum mit einem rassigen Album – während die niederländische Post ihnen zu Ehren eine Sondermarke herausbringt.

 

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