Ein Beitrag aus CLASSIC ROCK #100
Angesichts seiner überlebensgroßen Persönlichkeit und ulkigen Bühnenshow kann man Rick Nielsens musikalisches Talent leicht übersehen. Und der Cheap-Trick-Maestro war nie der Typ, der sich selbst lobt. „Ich bin ein Songwriter, kein Gitarrist“, sagte er kürzlich. „Ich wünschte, ich hätte vor 40 Jahren geübt, dann wäre ich mittlerweile wohl ziemlich gut.“ Doch davon sollte man sich nicht zum Narren halten lassen. Unter dem Cartoon-Look steckt ein außergewöhnlicher Gitarrist, dessen kühner, eloquenter Stil ein riesiges Spektrum von Licks, Trills und Slides abdeckt, die sich bei klassischem Pop, Glam und dem rifflastigen britischen Rock der späten 60er und frühen 70er bedienen. Und während sein nerdiges Image (Baseball-Cap mit hochgeklappem Schirm und Fliege) das genaue Gegenteil des gängigen Bildes von einem Gitarrengott ist, dient es gleichermaßen als parodistische Hommage an das gesamte Rockbusiness.
Nielsens Rolle als Klassenkasper beinhaltet auch, das Schwierige einfach aussehen zu lassen. Er versteht, dass es darum geht, Spaß zu haben. Und seine eigene Nische zu finden. „Ich wollte nie Jimmy Page oder Jeff Beck oder einer dieser großen Namen sein. Die sind ja schon belegt, also wuchs ich mit dem Bestreben auf, ich selbst zu sein.“ Er kann beneidenswert mühelos zwischen Lead und Rhythmus wechseln und ist gleichsam ein großer Experimentierer. Teilweise ist das einem schwindelerregenden Arsenal von Equipment zu verdanken, von Les Pauls über Fenders bis hin zu seinen geliebten Hamer-Gitarren, inklusive seines berühmten Modells mit fünf Hälsen. Als eifriger Gitarrensammler und Fan alter Verstärker hört er nie auf, Texturen, Klänge und Stimmungen zu erforschen. Bei Cheap Trick gibt es immer ein Überraschungselement: In einem Moment sind sie eine ungeschliffene Garagenband, im nächsten Powerpop-Adel. Dass Nielsen nicht die verdiente Anerkennung erhält, liegt vielleicht an seinen anderen kreativen Fähigkeiten. Als Hauptsongwriter der Band war es der produktive Nielsen, der Cheap Trick Ende der 70er zu Superstars machte. Ihren Gipfel erreichten sie mit ›Dream Police‹ und dem heldenhaften Livealbum AT BUDOKAN. All das bedeutet, dass er in doppelter Hinsicht prägend war – man frage nur berühmte Bewunderer wie die Foo Fighters, Kid Rock, Guns N’ Roses, Green Day, Pearl Jam, die Smashing Pumpkins und mehr.
Anspieltipp: ›Surrender‹ (Cheap Trick, HEAVEN TONIGHT, 1978)