Kaum zu glauben: 16 Jahre, nachdem Frankie Miller aufgrund einer Hirnblutung ins für mehrere Monate in Koma gefallen ist, startet er nochmals durch. Und zwar dank Facebook.
Er ist allseits beliebt. Bob Seger, Joe Walsh und Rod Stewart preisen seine Stimme – und Ray Charles, Roy Orbison, Bonnie Tyler oder die Eagles haben seine Songs gecovert. 1994 jedoch schlug das Schicksal zu: Frankie Miller erlitt eine Hirnblutung und lag mehrere Monate im Koma. Seine Karriere? In diesem Moment weit, weit weg. Doch nun ist Miller zurück – die Facebook-Gemeinde hat ihm einen zweiten Frühling beschert. Doch der Reihe nach. Startschuss für die Rock-Reanimation war nämlich nicht etwa eine exzessive Online-Aktivität von Miller, sondern Frankies Treffen mit seinem alten Freund und Kollegen Bill Rankin, dem ehemaligen Gitarristen von Nazareth. Die beiden wühlten sich durch einen Stapel Tapes, auf denen etliche unveröffentlichte Miller-Songs enthalten waren. „Wir hörten den Kram durch. Plötzlich kam ›Bottle Of Whisky‹. Ich war hin und weg, und selbst Frankie blickte nur zu mir rüber und grinste. Da wusste ich, dass dieser Song ein echter Hit sein könnte“, erinnert sich Rankin an besagten Tag.
Als Rankin Monate später einen Job als DJ beim Sender „Rock Radio“ antrat, entschloss er sich, ›Bottle Of Whisky‹ eine Chance zu geben. Er spielte den Track in seiner Show. An einem Sonntagnachmittag. „Ich dachte, dass da sowieso niemand zuhört“, so Rankin. „Doch ich irrte mich gewaltig.“ Da die Hörerreaktion so enthusiastisch ausfielen, nahm Bill Rankin den Song auch in die Playlist seiner Morgenshow auf.
Dass aus dem Radio-Hit auch eine Erfolgssingle wurde, ist schließlich Rage Against The Machine zu verdanken. In Großbritannien wurde die Band nach einer Facebook-Aktion gegen einen Castingshow-Gewinner auf Platz eins der Charts gehievt. Das wiederum inspirierte die Miller-Fans Jim McNee und Danny Chesnut dazu, eine eigene Facebook-Gruppe zu Frankies Song ins Leben zu rufen. Das fanden derart viele Leute gut, dass das Stück nun via Townsend Records offiziell als Single in den Handel gekommen ist.
Damit ist Frankie Miller endgültig zurück im Musikgeschäft – gut 40 Jahre nach seinem Karrierebeginn. In den späten Sechzigern hat der Sänger die Glasgower Szene aufgemischt, zunächst mit The Stoics, bei denen auch Hugh McKenna aktiv war, der später mit The Sensational Alex Harvey Band für Furore sorgen sollte. 1971 zog Miller schließlich nach London und rockte gemeinsam mit Robin Trower (Procul Harum), Jimmy Dewar (Stone The Crows) und Clive Bunker (Jethro Tull) bei Jude. Doch schon ein Jahr später war er auf Solopfaden unterwegs. Mit den Countryrockern Brinsley Schwarz als musikalisches Rückgrat nahm er sein Debüt ONCE IN A BLUE MOON auf und veröffentlichte es auf Chrysalis. Es wurde ein Erfolg – ebenso wie die Nachfolgewerke, das von Allen Toussaint produzierte HIGHLIFE (1974), THE ROCK (1975), FULL HOUSE (1977), DOUBLE TROUBLE (1978) oder FALLING IN LOVE (1979). Hinzu kommen etliche Single-Hits wie ›Be Good To Yourself‹, ›When I’m Away From You‹ oder ›Darlin’‹.
Auch abseits der Studios und Konzerthallen erarbeitete sich Frankie einen Ruf: Er galt unter Fans und Freunden als Partytier und ließ kein Fest aus, was auch Ray Minhinnit, dem Gitarristen von Full House, nachhaltig in Erinnerung geblieben ist: „Ich bin ständig bei ihm zu Hause in Maida Vale abgehangen“, so Manhinnit. „Im Grunde war ich mehr dort als in meiner eigenen Wohnung. Daher haben wir uns oft gemeinsam einen genehmigt. Frankie kochte sein berühmtes Coq Au Vin – das wir dann prompt mit et-lichen Flaschen Blue Nun-Wein runtergespült haben… Ich erinnere mich auch noch daran, dass er mich eines Tages fragte, warum wir nicht ins Kino gehen und ,Taxi Driver‘ schauen sollten. Eigentlich wollten wir nachmittags gehen, aber es gab nur noch Karten für die Abendvorstellung. Die Zeit reichte nicht, um vorher noch mal nach Hause zu fahren – also setzten wir uns ins Pub ,The Ship‘ in der Wardour Street und hauten uns so derbe die Birne weg, dass wir schon vor der Vorstellung total voll waren.“
Und wie es bei solchen Spontan-Aktion oft der Fall ist – es blieb nicht bei ein paar harmlosen Drinks, das Ganze zog weitere Kreise. „Der Film war großartig, so dass wir noch aufgedrehter waren als zuvor. Also sind wir raus auf die Straße und haben alle Leute in den Wahnsinn getrieben. Jeden, der uns über den Weg lief, bedrohten wir mit unseren .57er-Magnums, die natürlich nichts weiter waren als ,Finger-Revolver‘. Dazu haben wir natürlich rumgebrüllt wie Wilde – das ging den ganzen Weg vom Westend bis nach Maida Vale so. Wir fühlten und benahmen uns wie Zehnjährige…“
Doch trotz zahlreicher weiterer Aktion diesen Kalibers hat sich Frankie Miller nie von seinem musikalischen Weg abbringen lassen. Er legte Wert darauf, als Sänger und Songwriter immer top vorbereitet und auf der Höhe der Zeit zu sein – durch und durch Profi eben. Doch selbst er war nicht auf alles gefasst: Eines Tages, Miller hatte gerade in San Francisco gespielt, kam eine ältere Frau hinter die Bühne, umarmte den überraschten Künstler und sagte: „Ich kenne keinen Weißen, der eine schwärzere Stimme hat. Mein Mann hätte deine Musik auch geliebt.“ Ihr Mann war, wie sich kurz darauf herausstellte, kein Geringerer als Otis Redding, einer von Frankies großen Idolen.
Mitte der Neunziger, Miller war inzwischen längst international etabliert, tat er sich mit Joe Walsh, Ian Wallace (King Crimson), Nicky Hopkins und Chrissy Stewart zusammen und gründete Fire And Brimstone. Doch obwohl alles vielversprechend aussah, starb das Projekt noch vor seiner eigentlichen Geburt: Walshs Priorität galt den Eagles, womit keine Zeit für ein weiteres Engagement blieb. Böse war Miller deswegen nicht. Er freute sich für Walsh – und besuchte diesen am 25. August 1994, als die Eagles in New York Station machten. Nach dem Ende der Show zog sich Frankie Miller auf sein Hotelzimmer zurück. Dort passierte es: Er erlitt eine Hirnblutung und fiel daraufhin ins Koma. Erst nach fünf Monaten erwachte Miller wieder. Die Ärzte hatten die Hoffnung schon fast aufgegeben: Die Überlebenschancen des Musikers schätzen sie extrem gering ein – sie lagen bei nur zwei Prozent. Und selbst im unwahrscheinlichen Genesungsfall, so die Mediziner, würde Frankie wohl nie wieder sprechen oder laufen können.
Zudem starben in diesem Zeitraum weitere Freunde des Künstlers. Doch der gab nicht einfach so auf. Nachdem er wieder ansprechbar war, kämpfte sich Miller Stück für Stück zurück ins Leben. Mit schottischer Sturheit, wie seine Angehörigen heute schmunzelnd sagen. Es war ein langer und beschwerlicher Weg mit vielen Rückschlägen und Schmerzen. Doch Frankie hat ihn stoisch weiterverfolgt – und kann heute wieder sprechen und auch ohne Hilfsmittel gehen. Zudem ist er in Lage, Songs zu komponieren – seine große Leidenschaft ist ihm also erhalten geblieben.
Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Annette hat Frankie viel Zeit in „The Drake Music Project“ investiert, eine gemeinnützige Stiftung, die Behinderte unterstützt. Um Frankies Engagement zu honorieren und ihrem alten Freund zu helfen, haben auch Millers Weggefährten ihren Teil dazu beigetragen: 2002 spielten Joe Walsh, The Sensational Alex Harvey Band und Nazareth sechs Konzerte in Glasgow, deren Erlös in das „Drake Music Project“ floss.
Auch heute ist Frankie noch aktiv – die Musik ist und bleibt der Motor seines Lebens. Oft sitzt er auf der Couch und betrachtet seine Plattensammlung. THE ROCK, FALLING IN LOVE und FULL HOUSE sind seiner Ansicht nach die besten Werke seiner eigenen Karriere – doch er selbst hört sich am liebsten Alben anderer Künstler an. Einer steht dabei ganz weit oben in Frankies Hit-Liste: Ray Charles. Die LP-Regale brechen fast durch unter der Last der vielen Charles-Veröffentlichungen, die Frankie Miller im Laufe der Jahrzehnte angehäuft hat. Auch während Millers Reha-Phase war die Jazz-Legende eine wichtige Kraftquelle für den Schotten. Er bekniete damals seine Annette, ihn aus der Klinik zu schleusen und mit ihm das Ray Charles-Konzert im Wembley Stadion zu besuchen.
Sie tat es – und brachte ihn sogar backstage. Dort hätte er die Gelegenheit gehabt, seinen Helden persönlich anzusprechen, denn der stand nur zwei Meter entfernt. Doch er schaffte es nicht, war wie paralysiert. „Im Nachhinein“, so kommentiert Annette das Ganze grinsend, „finde ich das nicht tragisch. Denn man stelle sich mal diese absurde Situation vor: Auf der einen Seite Ray Charles, der nichts sehen kann – und auf der anderen Frankie, der gerade dabei war, das Sprechen wieder zu lernen. Das wäre ein ziemlicher Albtraum geworden…“