So ein Jahr ist doch immer wieder ungreifbar schnell an einem vorbeigezogen. Damit bei den unzähligen Geschehnissen dieser schnelllebigen Zeit wenigstens ein musikalischer Eindruck in unserem Bewusstsein zu verbleiben vermag, hat sich die CLASSIC ROCK-Redaktion noch einmal der vielen hundert Veröffentlichungen der vergangenen 365 Tage angenommen, um deren 50 herausragende Vertreter zu küren. Hier geht es weiter mit Plätzen 20-11…
20 Sam Outlaw
TENDERHEART
Thirty Tigers/Alive
Country von der West Coast. Der Schlüssel, wenn man einen beliebten altbekannten Sound aufgreift ist, dass man ihn nicht einfach nur nachahmen darf. Auf dem zweiten Album des 35-jährigen Kaliforniers Sam Outlaw hat man nie das Gefühl, dass der Songwriter seinen Seventies-Laurel Canyon-Country nicht mit Haut und Haar fühlt, verkörpert und lebt. Das Erbe von Gram Parsons ist in guten Händen.
Anspieltipp: ›Dry In The Sun‹
19 Walter Trout
WE’RE ALL IN THIS TOGETHER
Mascot/Rough Trade
Und jetzt alle zusammen: Die Freude, seine Lebererkrankung überlebt zu haben, teilt Walter Trout auf diesem Werk mit 1a-Blues-Prominenz der Sorte Charlie Musselwhite, Robben Ford, Edgar Winter, Joe Bonamassa und John Mayall. Noch mehr Namedropping gefällig? Okay: Kenny Wayne Shepherd, Sonny Landreth und Warren Haynes sind auch dabei. Unter anderem. Eine runde Allstar-Sause für Blues-Fans.
Anspieltipp: ›Ain’t Goin’ Back‹
18 The Afghan Whigs
IN SPADES
Sub Pop
Ego, Pathos, ein Geist zwischen Genie und Wahnsinn: Greg Dulli ist noch immer jene strahlende Persönlichkeit, als die er einst die Afghan Whigs in die Herzen all jener Indie-Intellektuellen führte, die den Soul in seinen schwülen Erotica-Dramen spüren konnten. Allein seine Sprache, sein Ausdruck, sein Repertoire haben inzwischen eine Reife erlangt, die ein Album wie IN SPADES zu einem wahren Spektakel geraten lassen. Wahre Grandezza!
Anspieltipp: ›Demon In Profile‹
17 Lukas Nelson & The Promise Of The Real
LUKAS NELSON & THE PROMISE OF THE REAL
Concord/Universal
Kinder-Country? Der Nachwuchs bringt sich jedenfalls erneut in Stellung: Willies Sohn liefert mit familientypisch knarziger Stimme rustikale Rocker wie ›Four Letter Word‹ und ›Die Alone‹, vernachlässigt aber auch nicht den Country-Aspekt. ›Breath Of My Baby‹ ist eine herzergreifende Ballade inklusive weinender Steel-Guitar, die Working-Class-Moritat ›Runnin’ Shine‹ handelt vom Überleben unter widrigen Umständen.
Anspieltipp: ›Set Me Down On A Cloud‹
16 Steven Wilson
TO THE BONE
Caroline/Universal
Steven Wilson habe den Pop für sich entdeckt, hieß es im Vorfeld zu dieser Veröffentlichung. Doch keine Angst – der unangefochtene Herrscher über den neuen Prog macht natürlich nicht auf platten Mainstream-Mist. Stattdessen hat er seine komplexen Klanggebilde einfach ein kleines bisschen abgespeckt, um den Melodien noch mehr Raum zur Entfaltung zu geben. Das Ergebnis ist keine Radiomucke, sondern erneut schlicht und einfach grandiose Musik.
Anspieltipp: ›Pariah‹
15 The War On Drugs
A DEEPER UNDERSTANDING
Atlantic/Warner
Niemand versteht es zurzeit besser, seinen Kummer in überlebensgroße, schillernde Rocksongs zu verwandeln als Adam Granduciel. Als raffiniertem Studiotüftler gelingt es ihm mit seiner glänzend eingespielten Band dazu perfekt, die Soundästhetik der 80er in die heutige Zeit zu transportieren. Das ganze Album ist von einer emotionalen Dringlichkeit, die ihresgleichen sucht. „Is it cold without my love?“ Wir wollen es hoffen.
Anspieltipp: ›Pain‹
14 The Chris Robinson Brotherhood
BAREFOOT IN THE HEAD
Megaforce
Natürlicherweise entfacht Chris Robinsons Stimme eine brennende Sehnsucht nach den guten alten Black Crowes, aber auch mit seinem jüngeren Projekt schafft es der Musiker, hippiesken Blues- und Countryrock ins Jetzt zu retten und luftige Songs mit Hang zu größter kompositorischer Offenheit zu produzieren. „Barfuß im Kopf“, genau nach diesem sommerlich-befreiten Geisteszustand klingt die Bruderschaft hier.
Anspieltipp: ›Behold The Seer‹
13 Little Steven
SOULFIRE
Universal
Nachdem er zuletzt vermehrt als Schauspieler unterwegs war, ist der charismatische Springsteen-Gitarrist als Solokünstler Little Steven zurück – 18 Jahre nach seinem letzten Album. Und er fährt groß auf! SOULFIRE ist eine umwerfende Soulrock-Party, mit Bläserfanfaren, Background-Chören, Streicherschmalz und bombastischem Drumsound. Hemmungslos romantisch und nostalgisch – und ein Riesenspaß.
Anspieltipp: ›Some Things Just Don’t Change‹
12 Life Of Agony
A PLACE WHERE THERE’S NO PAIN
Napalm/Universal
Bei wenigen Bands passiert in einer zwölfjährigen Pause zwischen Platten so viel wie hier. Aus Frontmann wird Frontfrau, vor allem aber wird aus einem vermeintlichen Nostalgie-Act eine wiederauferstandene Macht von einer Kraft, wie sie seit dem legendären Debüt RIVER RUNS RED von 1993 nicht mehr zu spüren war. Mit diesem Meisterwerk brauten die New Yorker einen süchtig machenden Cocktail aus Melodie, Wucht, nackter Emotion und unwiderstehlichem Groove, der noch lange wirken wird.
Anspieltipp: ›Meet My Maker‹
11 Neil Young
THE VISITOR
Reprise/Warner
Zum dritten Mal hat sich der Kanadier mit Promise Of The Real, der Band um Willie Nelsons Sohn Lukas, zusammengetan. Und nie klang das Ergebnis besser. In den wuchtigen Rocknummern des Albums ist die junge Truppe mittlerweile ein würdiger Ersatz für Crazy Horse, und auch die ruhigeren Stücke meistert sie mit souveräner Gelassenheit. Young selbst gelingen einige seiner eingängigsten Songs der letzten Jahre.
Anspieltipp: ›Almost Always‹