Sie haben sich in den vergangenen beiden Jahren rar gemacht. Doch nun schlagen die Beatsteaks wieder zu. Mit ihrem neuen Album BOOMBOX – und einer massiven Europa-Tournee, die mehrere Monate dauert und die Berliner in die größten Stadien führt.
Am Promenadenplatz, unweit des Münchner Marienplatzes, wo der meist geliebte und meist gehasste Verein Deutschlands seine Meisterschaften zu feiern pflegt, hat sich eine Band eingemietet, die immer gut drauf ist. Die Beatsteaks. Bayerischer Hof – man gönnt sich ja sonst nichts. In einer kleinen, aber feinen Suite empfangen drei der fünf Steaks die Journalisten. Sänger Arnim Teutoburg-Weiß und Drummer Thomas Götz mussten in Berlin bleiben, um mittels Skype-Konferenzen die von Nick Launay angefertigten Mixe abzuhören. Auch Gitarrist Peter Baumann kann nicht am Gespräch teilnehmen. Er nimmt sich auf dem luxuriösen Hotelbett der Aufgabe an, alte Fotos für ein Musikmagazin auftreiben. Bassist Torsten Scholz und Gitarrist Bernd Kurtzke sind also allein zum Reden abkommandiert, aber laut Torsten sowieso „viel krasser am Mic“ als der Rest.
Das Klischee der unverwüstlichen Frohnaturen, die stets mit einem breiten Grinsen durch die Welt rennen, zerstören die beiden „Promo-Huren“ (O-Ton Scholz) allerdings gleich wieder. Gefühlsstatus bei den ersten Aufnahmesessions zum neuen Album BOOMBOX im Berliner „Chez Cherie“-Studio: gehemmt. „Irgendwie war das alles nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben“, erinnert sich Bernd. „Da geht ’ne rote Lampe an, wir sind alle fürchterlich aufgeregt und versuchen, uns darauf zu konzentrieren, richtig zu spielen. Dabei vergessen wir, dass es um was komplett an-deres geht, nämlich: Musik machen.“
Zudem musste in den angemieteten Räumen erst einmal alles auf die Bedürfnisse der Musiker abgestimmt werden – und zwar in nerviger Kleinarbeit: „Du kommst rein, baust drei Tage das Schlagzeug auf, um herauszufinden, in welcher Ecke die Bassdrum am allergeilsten klingt. Das ganze Gedöns eben, das betrieben werden muss, ehe man endlich mal dazukommt, einen Song aufzunehmen… Und am Ende hast du gar keine Kraft mehr, um das Lied zu spielen.“ Obendrein kam Arnim, das Sprachrohr der Band, beim Einsingen in der Gesangskabine nicht zu Rande, fühlte keine Verbindung zur bereits aufgenommenen Musik.
Bei einer Diskussion im Proberaum lag die Lösung plötzlich auf der Hand: Wieso nicht einfach innerhalb der eigenen vier Wände arbeiten? „Alle Demoaufnahmen hatten viel mehr Herzblut als die Sachen, die im Studio entstanden sind“, so Kurtzke. Wenn Singer/Songwriter heutzutage ih- re Platten im eigenen Schlafzimmer aufnehmen, dann schafft es eine Rockband ja wohl auch, in ihrem Proberaum akzeptable Resultate zu erreichen.
Die Bestätigung haben die Beatsteaks am 28. Januar geliefert. Seit diesem Termin ist BOOMBOX erhältlich – und es kann sich hören lassen. Die Songs sind poppiger und zugleich experimenteller geraten. Sei es Stoner-Rock-Gedröhne, Reggae-Feeling, College-Rock à la frühe Weezer, beinharter Punk oder Pop-Rock – alles, was Bock macht, ist willkommen. Ein britischer Kritiker würde sicher urteilen: „Their most ambitious effort yet.“ Großen Wert legte das Quintett ferner aufs Songwriting, das im Vergleich zum Vorgänger LIMBO MESSIAH (2007) vielleicht ein bisschen zu geradlinig und schulbuchmäßig geraten ist. Nichtsdestotrotz kann man spüren, dass die Berliner den nächsten Schritt machen wollten.
Wie viel Anklang BOOMBOX in den Download-Shops und im Tonträgerhandel letztendlich finden wird, ist den Beatsteaks natürlich keineswegs egal – aber so richtig wichtig eben auch nicht. „Unser Durchbruch kam zu einer Zeit, in der Plattenverkäufe nur noch eine Nebenrolle gespielt haben“, sinniert Bernd. „Das ist schon bei SMACK SMASH, also 2004, nicht mehr ins Ge-wicht gefallen. Wir mussten uns den Arsch ab-spielen, um unsere Rechnungen zu bezahlen – und das hat sich bis heute nicht geändert.“
Sich den Arsch abspielen – darum geht’s. Für Torsten ist eine neue CD im Grunde nur ein Mittel zum Zweck: „Machst du ’ne geile Platte, hast du geile Songs für die Bühne!“ Einer dieser geilen Songs ist das vielleicht stärkste Stück des Albums: die grandiose Vorabsingle ›Milk & Honey‹. Mit ihr ließen es die Beatsteaks zuletzt bei der Verleihung der „1Live Krone“ am 2. Dezember in der Bochumer Jahrhunderthalle krachen. „Als wir da oben standen, dachte ich mir: ‚Alter, wir müssen doch jetzt noch weiterspielen! Nur ein Lied? Was is’n das für ’ne Scheiße?‘“, entsinnt sich Torsten. Nach der Pause, in die sich die Beatsteaks 2008 nach einem Open Air-Gig in der Berliner Wuhlheide und zwei Shows in Argentinien verabschiedet hatten, zieht es Arnim Thomas, Peter, Bernd und Torsten nun unweigerlich auf die Bühnen der Nation.
Die etwa zweijährige Auszeit tat allerdings mehr als not. „Wenn du zehn Jahre lang immer diesen Rhythmus Tour-Platte-Tour-Platte hast und nie einen Schritt zurücktrittst und mit et-was Abstand auf die Sache draufschaust, verkommst du zu einem Fachidioten“, meint Bernd. „Du merkst irgendwann nicht mehr, ob und wann du schlechter oder besser wirst.“ Mindestens genauso wichtig waren für den Musiker zudem auch andere Fragen – nämlich ziemlich private: „Wie läuft’s in meinem anderen Leben? Gibt’s das überhaupt noch?“
Aber hallo! Jeder Beatsteak hatte etwas, worum er sich kümmern musste. Bernd und Thomas z.B. schufen im Proberaum eine Aufnahme-Umgebung, in der sich jeder wohlfühlen kann und die dennoch funktional ist. Einige Bandmitglieder hatten Torsten zufolge „ein paar sehr persönliche Sachen zu bewältigen, die nicht so schön waren“. Er selbst nahm Bassunterricht, entwickelte Beatstuff weiter (den Merchandise-Shop der Formation) und wurde Vater („Hat für mich sehr jut gepasst, im positiven Sinn“).
In der selbst verordneten Bandpause lernten sich die Rocker zudem „auf einer total anderen Ebene neu kennen“. Früher haben sie in der Kneipe, beim Konzert und auch privat zusammen rumgehangen. Jetzt bestimmt der Nachwuchs, wann man sich sieht: Auf Kindergeburtstagen oder anderen Zusammenkünften der kleinen Beatsteaks laufen sich die Eltern regelmäßig über den Weg. „Bernd kommt mit seinem Sohn, Peter mit seinem Bengel, ich mit meiner Tochter“, erzählt Torsten, „da ist die Arbeit erstmal total unwichtig.“ Eine „voll schöne und voll gute“ Erfahrung.
So unumgänglich es war, dass die Beatbuletten einen gewissen Abstand voneinander und von der Band bekamen, so schwer war es auch, nach der Auszeit erneut auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. „Wir haben echt lange gebraucht, bis wir wieder zueinander gefunden haben“, gibt Torsten zu. Aber er hat daraus eine Lehre gezogen: „Das hätten wir vermeiden können. Einfach nur, indem jemand sagt: ‚Alter, bis da und dann müssen wir wieder am Start sein, also lass uns treffen!‘“
Lothar Gerber