Nein, Anathema machen nicht Schluss. Aber die britischen Prog-Rocker verabschieden sich endgültig von ihren Death-Metal-Anfangszeiten. Als Adieu gibt es mit FALLING DEEPER eine orchestrale Reprise zum einst so finster grollenden Treiben.
Schon lange weigern sich Anathema, so sehr es die Fans der ersten Stunde auch wünschen mögen, die Songs ihrer Frühtage zu spielen. ›A Dying Wish›‹ vom zweiten Album THE SILENT ENIGMA war so ziemlich der letzte Song, der noch zu Live-Ehren kam. Was sich durch FALLING DEEPER nicht ändern wird, wie Fronter Vincent Cavanagh gesteht, „außer wir gehen irgendwann mal auf große Orchestertour“. Was er übrigens auch nicht ausschließen möchte. Eines aber ist sicher: „Was Neuaufnahmen alter Songs angeht, war’s das“, stellt er klar.
Warum aber gerade jetzt die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit? Immerhin hatten die Jungs aus Liverpool vor dem Comeback-Werk WE’RE HERE BECAUSE WE’RE HERE im kleinen Kreis sogar darüber nachgedacht, den Namen Anathema aufgrund seiner Verbindungen in den Metal-Untergrund abzulegen. Bedeutet dieses Album eine Versöhnung mit den eigenen Wurzeln – oder ist es ein Exorzismus der dröhnenden Jugendsünden? „Wir haben es gemacht, weil die Idee, den alten Songs ein neues Gewand zu geben, schon so lange in unseren Köpfen schlummerte, und weil die Vorstellung, wie sie klingen würden, wenn sie ein Orchester statt einer Band spielt, einfach unwiderstehlich war“, erklärt Vincent. „Das Ganze entwickelte sich von selbst! Wir hatten nie den Plan, dieses Album zu machen, stattdessen merkten wir irgendwann, dass wir es machen müssen.“ Irgendwann, das war in etwa dann, als klar wurde, wie viele der alten Songs sich in Streicherarrangements kleiden ließen. Was nicht von ungefähr kommt: Anathema haben nie das teuflische Dekret unterschrieben, Rock’n’Roll bestehe aus Schweiß, Blut und Gitarrenriffs. Schon früh (allerdings nicht so früh wie die jetzt aufgearbeiteten Songs) komponierten sie auf dem Klavier. Und das war für FALLING DEEPER der Indikator: „Wenn zumindest ein Song-Motiv darauf funktioniert, kann man es auch orchestrieren“, so Vincent. Was einige Klassiker von vornherein ausschloss: „›A Dying Wish‹, ›Lovelorn Rhapsody‹ oder ›Restless Oblivion‹ klängen absolut lächerlich, wenn man ein Orchester auf sie ansetzen würde. Sie sind einfach zu schnell und zu rhythmisch.“ Was es aber zu „retten“ gab, haben Anathema gerettet – manchmal nur als Fragment wie ›We The Gods‹. „Wir haben sorgfältig gefiltert, was die Arbeit wert war, und alles verwendet, was dabei herauskam.“ Herausgekommen ist alles, nur kein orchestraler Bombast. Vielmehr hat FALLING DEEPER fast cineastische Qualitäten, oft wirken die Interpretationen wie Nahaufnahmen von Details der alten Songs, die man so noch nie gehört hatte. Was nicht nur die Absichten, sondern auch die Ambitionen der Band wiederspiegelt: „Es war von Anfang an klar, dass wir nicht auf orchestralen Bombast gehen würden“, betont Vincent. „Inspiriert ist das Ganze eher von Filmmusik, Leuten wie Max Richter oder Jóhann Jóhannsson – allesamt Minimalisten auf ihre Art. Und wenn wir eines mitnehmen aus diesem Projekt, dann das: Wenn uns jemals jemand fragen sollte, ob wir einen Film-Soundtrack komponieren würden, sind wir Feuer und Flamme!“ Bis es soweit ist, steht aber ein neues Album an – das schon im Frühjahr erscheinen soll.