Selbst wenn Marianne Faithfull aus jener aufregenden und tragischen Morrison-Zeit in Paris nicht mehr alle Details weiß – ein gewisses Gefühl wird sie wohl nie vergessen: „Über ihm schwebte immer der Tod.“ Womit sie allerdings nicht Jim Morrison meint, sondern Jean de Breteuil, den „Dealer der Stars“ – ihren damaligen Freund.
Das Mayfair Hotel in London, Ende 2010. Marianne Faithfull ist eigentlich hier, um ihr aktuelles Album HORSES AND HIGH HEELS zu promoten und dann ihren 64. Geburtstag zu feiern. Und zwar standesgemäß. „Ich weiß einen aufwändigen Lebensstil zu schätzen“, erklärt sie, rudert aber gleich wieder zurück: „Mit meiner Musik habe ich nie sonderlich viel Geld verdient, doch die Zeit mit Mick Jagger hat mich eben verdorben. Ich betrachtete mich schon deshalb als reich, weil ich mit den Stones abhing – und die waren nun wirklich stinkreich. Ich bin’s leider noch immer nicht, bewohne aber dennoch in Paris ein wunderbares Apartment mit einem riesigen Kamin.“ Wer so viel erlebt hat wie Marianne Faithfull, der schweift auch gerne einmal ab, lässt das neue Album Album sein, spricht z.B. über die Stones und – Stichwort Paris – eben auch über die Geschehnisse im Juli 1971.
Aber der Reihe nach: Talitha Getty, Schauspielerin, Stilikone der Beat-Ära und seit 1966 Ehefrau des millionenschweren Ölerben John Paul Getty Jr., pflegte Ende der sechziger Jahre nicht nur beste Kontakte zur britischen Rock-Prominenz, sondern auch zu einem gewissen Jean de Breteuil. Der blendend aussehende Sohn aus aristokratischem Hause avancierte alsbald zum Liebhaber der neun Jahre älteren Millionärsgattin – und zu ihrem Drogendealer. Das illustre Paar lernte Marianne Faithfull durch Mick Jagger kennen, der damals bereits seine Fühler kräftig in Richtung Jet-Set ausstreckte. Als Jagger dann 1970 Marianne Faithfull zugunsten des nicaraguanischen Models Bianca Pérez-Mora Macias – der späteren Mrs. Jagger – abservierte, begann Faithfulls Affäre mit de Breteuil, der damals die halbe Rockwelt mit Heroin versorgte. Ein Todesengel, wie sich herausstellen sollte.
Rückblende nach Paris ins Jahr 1971. Eine Legende besagt, dass Marianne Faithfull Jim Morrison noch kurz vor seinem Tode gesehen hätte, doch die Angesprochene wiegelt energisch ab: „Ich war zur selben Zeit in Paris, das ist wahr. Aber ich habe ihn nie gesehen, hatte nie etwas mit ihm zu tun. Dass ich seine ‚Sister Morphine‘ gewesen sei, wurde schon häufiger behauptet, aber ich war es definitiv nicht. Ich bin nicht sie.“ Dass de Breteuil Morrisons Freundin Pamela Courson mit Heroin versorgte, ist unzweifelhaft, ob die beiden auch eine Affäre hatten, kann Marianne Faithfull jedoch nicht bestätigen: „Ich weiß es nicht.“ Ganz genau erinnert sie sich allerdings an de Breteuils panische Reaktion auf Pamelas Anruf: „Er sagte: ‚Ich habe ihn getötet‘ und verschwand. Ich hatte Tuinal genommen und war vollkommen weg, weshalb ich auch nicht mitbekam, was eigentlich vor sich ging. Irgendwann kehrte er dann zurück und schlug mich, woran ich mich noch sehr genau erinnere. Er war in schrecklicher Verfassung, oder besser gesagt: in noch schrecklicherer Verfassung als sonst. Wir flüchteten sofort nach Marrakesch zu seiner Mutter. Erst später konnte ich mir einen Reim auf alles machen: Jim Morrison war tot, und Jean hatte das Mordwerkzeug geliefert.“
An Roger Steffens (siehe Seite 28), der das Paar in Marrakesch kennen lernte, entsinnt sich Faithfull indes kaum noch, auch, dass es kurz zuvor einen Autounfall sowie den Selbstmordversuch eines von Jeans Freunden gegeben haben soll, kann sie nicht ohne weiteres bestätigen – was zum einen daran liegen dürfte, dass es 40 Jahre her ist, zum anderen, dass Faithfull ihre Umwelt damals mehr oder minder dauerstoned wahrnahm: „Kann sein, dass wir diesen Mann in Marrakesch trafen, aber mehr kann ich wirklich nicht dazu sagen. Einen Autounfall, in den wir verwickelt waren, könnte es aber durchaus gegeben haben, zumindest kann ich mich sehr vage daran erinnern. Und was den angeblichen Selbstmord betrifft: In Jeans Fahrwasser begingen ständig irgendwelche Leute Suizid oder starben an Überdosen, er war wirklich ein ziemlich schrecklicher Typ. Selbst mir wurde irgendwann klar, dass er ein Fluch für die Menschheit war.“
Faithfulls Selbsterhaltungstrieb gewann schließlich die Oberhand, der Graf musste gehen: „Nachdem wir Marokko verlassen hatten, gab ich ihm den Laufpass. Ich wollte kein weiteres seiner Opfer werden. Er hatte irgendetwas mit Jims Tod zu tun, und das war wirklich zuviel für mich.“
So leicht ließ Jean de Breteuil aber offenbar nicht locker: „Als ich mich 1971 im Haus meiner Mutter in Oxfordshire erholen wollte, tauchte er dort plötzlich auf und bemühte sich erneut um meine Gunst. Aber über ihm schwebte immer der Tod. Glücklicherweise hatte ich in Paris nur Tuinal genommen und nicht sein verdammtes Heroin. Nach unserer Trennung hatte ich dann wirklich meine dunkelsten Stunden durchlebt. Alle, die mit Jean zu tun hatten, waren dem Tod geweiht. Jim, Pamela, alle starben. Und dann verreckte er schließlich selbst an einer Überdosis, und zwar auf die schrecklichste Art und Weise. Nur ich entkam. Dieses Junkie-Dasein macht einen kaputt, man verliert leicht die Kraft und den Willen zu überleben. Aber ich habe mich nie auf-gegeben, ich ging immer davon aus, dass ich es schaffen könnte. Was mir ja letztlich auch gelang.“
Im Gegensatz zu Talitha Getty, deren Name ebenfalls auf de Breteuils Gefallenenliste landete: Das Glamourgirl der sechziger Jahre verstarb am 14. Juli 1971 in Rom, selbstverständlich an einer Überdosis Heroin – nur elf Tage nach Jim Morrison. Auch Janis Joplin, die bereits im Oktober 1970 überdosiert hatte, ging vermutlich auf sein Konto. Leichen pflasterten seinen Weg, und Graf Jean de Breteuil folgte ihnen schließlich nach: 1971 war auch für den 22-jährigen „Dealer der Stars“ das Ende gekommen.
Marianne Faithfull, die Überlebende, hat dem gefährlichen, aber unter Umständen eben auch lukrativen „Rock’n’Roll Circus“ längst abgeschworen. Die alten Stones-Songs, die sie einst als Jaggers Muse inspirierte, hört sie schon lange nicht mehr, und mit dem Rockstar-Jet-Set, konkreter: der Stones-Entourage, hat sie auch nichts mehr zu schaffen. „Mick lief mir mal bei einem Konzert zufällig über den Weg, aber dass uns eine Freundschaft verbindet, wäre wohl stark übertrieben. Manchmal treffe ich Charlie Watts, denn der lebt auch in Paris, und was Keith angeht: Ich mag ihn einfach. Nicht auf die Art, dass ich ihm jedes Jahr eine Weihnachtskarte schicke, aber mein neues Album kriegt er schon, und einen kleinen Brief dazu.“
Was ihre selbstzerstörerische Vergangenheit betrifft, geht Marianne Faithfull mit sich selbst hart ins Gericht: „Jetzt, wo ich seit langem clean bin, macht es mich richtiggehend krank. Heroin ist schlecht, Kokain womöglich noch schlechter. Es ruiniert einen, so einfach ist das. Nach meinem Entzug wurde ich rückfällig, nahm Kokain, Schlaftabletten und trank. Koks und Alkohol gab ich auf, da ich mir mittlerweile eine Hepatitis C eingefangen hatte. Zum Schluss mussten die Schlaftabletten dran glauben – abgesehen von den Zigaretten. Ich bin wohl eine suchtgefährdete Person, was soll ich da machen? Ich würde ja mit dem Rauchen aufhören, aber ich habe Angst, dass ich dann richtig fett werde.“
Als sich das Gespräch dem Ende zuneigt, bestellt sie etwas zu Essen und macht es sich auf dem Sofa bequem. „Ist es nicht lächerlich? Mein Schicksal war es, mich immer alleine durchzukämpfen, ich war nie Mitglied einer Gang. Und jetzt fühle ich mich wie eine ‚Grande Dame‘. Natürlich könnte ich mir dieses Hotelzimmer nie und nimmer leisten, aber sie lassen mich gratis drin wohnen. Vielleicht bin ich am Ende ja doch eine Berühmtheit.“