Seine Songs kennt jeder: Mit ›Since You’ve Been Gone‹, ›New York Groove‹ oder ›You Can Do Magic‹ bereicherte Russ Ballard, 78, den Kanon der Rockgeschichte – und verhalf Top-Acts wie KISS, Ace Frehley, Rainbow und America zu Kulthits. Kürzlich war der umtriebige Brite als Special Guest auf der „Rock Meets Classic“-Tour zu erleben. Mit fast 80 Jahren hat Russ noch einiges vor. Musik ist dabei, neben der Liebe mit allen Ups und Downs, sein erklärtes Lebenselixier. Wir fragten den Mann, der ›God Gave Rock’n’Roll To You‹ komponiert hat, nach seinen persönlichen Favorites.
DIE ERSTE MUSIK, AN DIE ICH MICH ERINNERN KANN
Das muss Beethovens „Moonlight Sonata“ („Mondschein-Sonate“) gewesen sein, die ich bei meiner Mutter hörte. Ich war wohl um die drei, vier Jahre alt. Diese wunderschönen Arpeggios … (er summt) Die Emotion der Musik, diese Traurigkeit berührte mich. Zu Hause lief bei uns immer viel klassische Musik.
DER ERSTE SONG, DEN ICH LIVE SPIELTE
›Stood Up‹ von Ricky Nelson († 1985). Ich spielte es mit meiner ersten Gruppe Ende der 50er bei einem Talentwettbewerb. (Er singt: „Well, I‘ve been waitin‘ ever since eight. Guess my baby‘s got another date. Stood up, broken-hearted, again …“) Witzige Anekdote dazu: Geffen Records fragte um 1990 bei mir an, ob ich das Debüt-Album von Rickys Söhnen Matthew und Gunnar produzieren könnte. Es wurde aber nichts draus.
DAS GRÖSSTE ALBUM ALLER ZEITEN
Für mich wohl PET SOUNDS von den Beach Boys. Es war seiner Zeit soundtechnisch weit voraus. Brian Wilson ist ein begnadeter und ganz cleverer Songwriter. ›God Only Knows‹ zählt zu meinen Alltime-Favorites.
DAS BESTE LIVE-ALBUM
CONCERT FOR BANGLADESH von George Harrison, das 1971 im Madison Square Garden aufgenommen wurde. Bob Dylan, Ringo Starr, Eric Clap- ton, Leon Russell und Ravi Shankar wirkten als Gäste mit.
DER GITARRENHELD
Freddie King und Albert King, die Blueser. Einfach fantastisch, dieser Sound. Im Rock zählt Ritchie Blackmore natürlich zu den Großen, er spielt sehr schnell und vor allem „lyrisch“, man kann seine Soli formlich mitsingen. Ich habe ihm zwei Lieder – ›Since You‘ve Been Gone‹ und ›I Surrender‹ – für Rainbow gegeben, ihn selbst aber nur ein einziges Mal getroffen. 2017, als er mich zu einem Rainbow-Konzert in London einlud und wir auf der Bühne jammten.
DIE BESTE STIMME
Ich könnte jetzt auf Anhieb 50 Sänger nennen, aber meine Nummer eins ist wohl Paul Rodgers. Ich bewundere die wahnsinnige Kontrolle, die er über seine Stimme hat. (Russ stimmt den größten Free-Hit an: „All right now, Babyyy …“)
DAS SONGWRITER-GENIE
Für mich sind es zwei: Lennon und McCartney! Sie haben unglaubliche Melodien kreiert, was bedeutend schwieriger ist, als Riffs zu komponieren. Ich mag übrigens die frühen Beatles- Sachen noch lieber, etwa ›I Saw Her Standing There‹ oder ›I‘m Down‹. John und Paul stellten alle in den Schatten und entwickelten sich enorm, man denke nur an das Meisterwerk SGT. PEPPER. Nachdem die Beatles 1966 mit dem Touren aufgehört hatten, konnten sie sich mehr auf die Studioarbeit konzentrieren. Das hört man.
DIE UNTERBEWERTETSTE PLATTE
UP, UP AND AWAY von The 5th Dimension aus dem Jahr 1967. Allein der Song ›Rosecrans Blvd‹ ist so episch, geschrieben hat ihn der große Jimmy Webb, der ja auch Evergreens wie ›MacArthur Park‹, ›By The Time I Get To Phoenix‹ und ›Wichita Lineman‹ komponierte. Leider kennen die Band heute nicht mehr viele.
DER SONG, DER MICH ZUM WEINEN BRINGT
›I Can’t Make You Love Me‹ von Bonnie Raitt. Einfach wunderschön, so emotional und berührend. Ihre Platte NICK OF TIME lege ich heute noch regelmäßig auf. Und außerdem berührt mich der Klassiker ›Smile‹, den Charlie Chaplin im Film „Moderne Zeiten“ singt und den später auch Michael Jackson und Barbra Streisand gecovert haben.
MEIN „GUILTY PLEASURE“
Ich gebe zu, dass ich nicht wegschalte, wenn André Rieu mit seinem Orchester auf Sky Arts im Fernsehen ›Blue Danube‹ spielt. Ich liebe seine Energie. Er rührt mit seiner Musik die Leute an – und bringt die Klassik zu den Massen.
DIE UNTERBEWERTETSTE BAND ALLER ZEITEN
Vielleicht The Kinks. Sie werden zwar allgemein gewürdigt, aber alle Welt scheint nur noch von den Beatles, den Stones und The Who zu sprechen. Die Kinks gehören meiner Meinung nach zu den besten Bands ever und dürfen nicht vergessen werden. Ray Davies ist ein fantastischer Storyteller.
DER SONG, DEN ICH GERNE GESCHRIEBEN HÄTTE
›Don‘t Dream It‘s Over‹ von Crowded House, ganz klar. Das ist eine echte Perle … (Er singt: „hey now, hey nooow, don‘t Dream it‘s ooooover …“)
MEIN SAMSTAGABEND-PARTYSONG
›Dance To The Music‹ von Sly & The Family Stone aus den späten 60ern – und die Nummer ›Hold On‹ von einer etwas neueren Gruppe namens Alabama Shakes. Die Stimme von deren Frontfrau (Brittany Howard) haut mich immer wieder um.
DER SONG, DER BEI MEINER BEERDIGUNG LAUFEN SOLL
Da muss ich mal eben nachdenken … ›Nimrod‹ von Sir Edward Elgar (1857–1934)! Er hat auch die Melodie von ›Land Of Hope And Glory‹ komponiert (mit dem wiederum Blackmore und Rainbow früher stets ihre Konzerte einleiteten; Anmerkung des Autors). Es gibt eine klasse Aufnahme von Daniel Barenboim mit dem Chicago Symphony Orchestra (Russ summt die Melodie in Moll: „da- da-di-da-di-da-da-da-daaa …“). Elgar schrieb ›Nimrod‹ für seine Freunde als eine Art Erinnerung, ein großartiges Stück.