2023 feiern die Black Star Riders mit dem neuen WRONG SIDE OF PARADISE ihr 10-jähriges Bestehen und müssen gleichzeitig Abschied nehmen: Album Nummer fünf ist die erste Platte, die ohne das legendärste Mitglied der Formation auskommen muss, da Gründungsmitglied und Thin-Lizzy-Ikone Scott Gorham im Jahr 2021 seinen Ausstieg bei den Riders bekanntgab. Im Interview erklärt Frontmann und Hauptsongwriter Ricky Warwick, was diese Veränderung mit seiner Band gemacht hat und was es für ihn bedeutet, auf der falschen Seite des Paradieses zu stehen.
Wann hast du angefangen, an WRONG SIDE OF PARADISE zu arbeiten?
Ich halte täglich Ideen fest. Wenn wir wissen, dass es an ein neues Album geht, beginne ich damit, diese Ideen zu sortieren und fertigzustellen. So richtig intensiv habe ich im Januar 2020 mit der Arbeit angefangen, im März 2020 war dann so ziemlich alles fertig. Im Sommer 2020 fuhr ich ins Studio von Christian Martucci und wir nahmen die Demos aller Songs auf, die es bis dahin gab. Als wir dann richtig aufnehmen wollten, hatte ich das Gefühl, uns fehlen noch ein, zwei Lieder. Also habe ich ›Better Than Saturday Night‹ und ›This Life Will Be The Death Of Me‹ noch einen Monat vor dem Studio geschrieben, das muss im September 2021 gewesen sein. Unser Produzent Jay Ruston hörte die Tracks und wollte sie unbedingt auf der Platte haben, das war also eine Last-Minute-Geschichte.
Scott Gorham hat seinen Ausstieg 2021 bekannt gegeben. Wie sah das interne Timing aus?
Wir wussten schon lange vorher, dass er uns verlassen würde. Er hat also nicht an WRONG SIDE OF PARADISE mitgewirkt. Während der Pandemie war jeder so mit seinen eigenen Problemen beschäftigt, dass wir diese Neuigkeit erst nach draußen geben wollten, wenn sich die Welt wieder etwas normalisiert hatte. Ich wusste, dass es passieren würde, wir haben darüber gesprochen und uns im Guten getrennt. Er wollte, dass wir weitermachen.
Ihr wart von Anfang an zusammen in dieser Band. Wie hat Scotts Weggang die Banddynamik beeinflusst?
Naja, er ist Scott Gorham. Er ist eine Legende. (lacht) Er ist unglaublich, er ist einer meiner Helden, ich liebe ihn, er ist brillant! Seine einzigartige Spielweise nicht mehr in der Band zu haben ist schade, er ist nicht zu ersetzen. Deswegen haben wir darüber auch gar nicht nachgedacht – es ist schlicht nicht möglich. Das Songwriting bei den Black Star Riders habe auch vorher schon immer ich zum Großteil übernommen. Scott brachte ab und an ein paar grandiose Ideen ein, aber ansonsten war das meine Sache. Deshalb hat sich in diesem Bereich nicht viel geändert. Das einzige, was für uns zählt, ist weiterhin qualitativ hochwertige Platten abzuliefern. Und das können wir auch als Vierergespann.
Hast du dir jemals darüber Gedanken gemacht, ob diese Veränderung die Popularität der Band verringern könnte?
In so einer Situation denkt man erst einmal über alles nach. Aber diese Band gibt es jetzt seit zehn Jahren, die neuen Songs sind stark. Wir sind darauf fokussiert, uns vorwärts zu bewegen. Am Ende entscheidet das Publikum. Wobei für mich wichtiger ist, dass wir als Band das toll finden, was wir abliefern. Am Ende geht es doch um die Musik. Und ich glaube an die Stärke von WRONG SIDE OF PARADISE. Wir alle haben in den letzten Jahren viel durchgemacht und mein Glaube an diese Band ist so groß wie eh und je. Ich möchte die Black Star Riders nicht auflösen, weil wir sehr hart gearbeitet haben. Ich finde, wir sind einzigartig, wir haben viel zu sagen. Wenn sich das irgendwann mal ändert, hören wir auf.
Die meisten Songs sind ja vor der Pandemie entstanden. Wie sah es zu der Zeit in deiner Gefühlswelt aus?
Man findet in dieser Platte viel Reflexion. Wie viele andere auch habe ich in den letzten Jahren Freunde verloren, außerdem sind meine Eltern gestorben. Man selbst wird nicht jünger und fängt an, sich Gedanken über die eigene Sterblichkeit, über das Leben und über den Tod zu machen. Man denkt an die Menschen, die nicht mehr sind, die unsere Biografien berührt haben. Was für mich total verrückt war, war nicht nur der Verlust meiner Eltern, sondern der damit zusammenhängende Kontext. Meine Mum und mein Dad lebten in einem kleinen Haus bei Glasgow. Wenn wir auf Tour waren, verbrachte ich meistens ein paar Tage in ihrem klitzekleinen Bungalow. Ich liebte das und vermisse das so sehr. Als sie noch lebten, habe ich das als selbstverständlich hingenommen. Heute wünsche ich mir, ich könnte zu diesem kleinen Haus zurückkehren und mit ihnen am Tisch sitzen. Aber man hört auch viel Positivität auf WRONG SIDE OF PARADISE, beispielsweise in Songs wie ›Saturday Night‹. Man muss versuchen, optimistisch zu bleiben, egal, was das Leben dir hinwirft.
Ich finde das bewundernswert, weil es keine einfache Übung ist, positiv zu bleiben.
Danke! Ich glaube einfach daran. Ich habe Kinder und möchte ihnen diese Botschaft weitergeben: Die Welt ist verrückt, es gibt viele schlechte Menschen, aber es ist immer noch deine Welt und nur du selbst definierst dich und deine Entscheidungen. Ich schreibe ja auch über die ganzen Probleme, aber ich möchte das Licht am Ende des Tunnels aufzeigen. Man kann dorthin finden, wenn man will. Man muss es versuchen. Mit einem positiven Mindset kann man viel mehr aus dem Leben schöpfen.
Ich denke, es verlangt einem viel mehr Stärke ab, positiv zu bleiben, als sich einfach in den negativen Sog hineinziehen zu lassen.
Definitiv. Diese Tage habe ich auch manchmal, wir alle haben solche Tage. Doch wir sind nur für kurze Zeit hier, also sollten wir versuchen, uns eine gute Zeit zu machen. Wir sollten Liebe statt Hass verbreiten. Und im Grunde kann ich ja nur von meinem Standpunkt aus schreiben, erzählen, wie ich mein Leben gestalte.
Was bedeutet WRONG SIDE OF PARADISE für dich?
Ich bin in Belfast aufgewachsen, mein Leben war geprägt von Barrikaden. In Deutschland gab es die Mauer. Ich habe mich immer gefragt, was hinter diesen Barrikaden liegt. Ist es da besser? Wie sind die Leute dort? Man baut immer noch Mauern statt Brücken, das verstehe ich nicht.
Bald gibt es euch zehn Jahre. Wie würdest du eure Entwicklung beschreiben?
Eine Konstante ist, dass ich auf jedes Album sehr stolz bin, weil wir nie stehen geblieben sind. Ich habe das Gefühl, die Band ist relevant, wir haben etwas zu sagen. Klar haben wir viele Mitglieder kommen und gehen sehen, aber eine Band ist kein Gefängnis. Es ist okay, weiterzuziehen oder zurückzukommen. Am Ende des Tages geht es nur um die Musik. Heutzutage als Band zehn Jahre durchzuhalten ist eine tolle Sache, auch darauf bin ich stolz.