Titelstory: Eric Clapton – Gottes Werk & Johnsons Beitrag

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Titelstory: Eric Clapton – Gottes Werk & Johnsons Beitrag

Eric Clapton TitelstorySeinen ersten Job als Profi trat Eric Clapton im Oktober 1963 bei den Yardbirds an. Es war der Beginn einer Reise, die ihn zu unglaublichen Triumphen, durch schreckliche Tragödien und immer wieder auch an die einst von Robert Johnson besungenen ›Crossroads‹ führte. Heute gilt der englische Gitarrist und Sänger, den Fans einst „God“ nannten, als Jahrhundertmusiker.

Man kann nur erahnen, was diese beiden so unterschiedlichen Menschen miteinander verband. Über mehrere tausend Meilen Entfernung, über Jahrzehnte und nicht zuletzt über kulturelle Grenzen hinweg: Der eine wusste, was in dem anderen vorging. Dabei war der Absender der Botschaft da schon ein Vierteljahrhundert lang tot. Ein dürrer, hoch aufgeschossener Herumtreiber, dessen fadenscheinige Hosenbeine um die Knöchel schlackerten und dessen Welt bestimmt war von Rassismus und den bitteren Folgen der Weltwirtschaftskrise, die als die Große Depression in die Geschichte einging. Geendet hatte sein kurzes Leben in einer verrauchten Kneipe irgendwo im Mississippidelta.

Der Empfänger der Botschaft dagegen war ein scheuer, verstörter Jüngling mit unschuldigem Gesicht, der verzweifelt nach der Anerkennung suchte, die sie ihm daheim und in der verhassten Schule verwehrten. Viel mehr als die graue Tristesse der englischen Nachkriegsära hatte er noch nicht gesehen, und sein Horizont reichte kaum weiter als bis zu den Feldern und Wiesen am Rande eines kleinen Ortes namens Ripley in der Grafschaft Surrey.

Wenn er auch sonst nicht viel wusste von der Welt: Eric Clapton verstand intuitiv, wovon Robert Johnson sprach, wenn er seine Gitarre aufjaulen und diese Stimme hören ließ, die klang, als hätte ihr Besitzer die Hölle gesehen. Und er spürte, dass er diese Stimme in sich selbst finden musste, wenn er die Welt und ihre Wirklichkeit aushalten wollte – I’m standing at the crossroads, I believe I’m sinking down.

„Trübsinnig und ekelhaft“

Dabei hatte das Leben des Patrick Eric Clapp, geboren am 30. März 1945, gut angefangen. Neun Jahre lang war der Junge bei Rose und Jack Clapp aufgewachsen. Später würde er selbst sagen: „Ich hatte eine schöne Kindheit.“ Die allerdings war eines Tages im Jahr 1954 plötzlich vorbei. Als die 25-jährige Patricia Molly Clapton in dem kleinen Haus der Familie auftauchte, hielt Eric sie noch für seine Schwester, die lange Zeit im Ausland gelebt hatte. Dann aber schenkten ihm die vermeintlichen Eltern reinen Wein ein: Patricia war seine Mutter, sein Vater schon vor der Geburt verschwunden, und sie selbst, so mussten sie, wohl mit gesenktem Blick, einräumen, waren seine Großeltern.

Die heile Welt des Jungen brach zusammen. Plötzlich konnte er sich die Verlegenheit und das so oft ratlos registrierte Schweigen der Verwandten erklären, die ihm immer mit spürbarer Distanz begegnet waren. Ein uneheliches Kind war in jenen Jahren eine Schande, also kam man überein, auch nach Patricias unerwarteter Rückkehr weiterhin so zu tun, als sei sie Erics Schwester und Rose und Jack dessen leibliche Eltern. Pat war’s recht, sie konnte mit dem Jungen ohnehin nichts anfangen.
Was Wunder, dass sich Eric nun vollkommen isolierte, in sich selbst verkapselte? In der Schule verlor er den Anschluss, seiner Umwelt begegnete er mit zunehmendem Misstrauen. Jahrzehnte später würde er seine Reaktion auf das traumatische Erlebnis in einem Interview zusammenfassen: „Man hat mir später gesagt, dass ich von diesem Augenblick an trübsinnig und ekelhaft war.“

Zuflucht suchte er in der Musik. Er entdeckte Buddy Holly, Chuck Berry und Elvis, all die mysteriösen Stars der Stunde, von denen kaum Bilder zu sehen waren und deren Musik man nur heimlich nachts auf Radio Luxemburg oder den wenigen kursierenden Schallplatten hören konnte. Er erlebte den jungen Jerry Lee Lewis im Fernsehen, er stieß auf die Namen von Big Bill Broonzy und Muddy Waters. Diese obskure amerikanische Musik, die man Blues nannte, wurde zu seiner Obsession, ihre Protagonisten zu seinen romantischen Helden.

Es war die Zeit, in der England allmählich aus seiner Nachkriegsdepression er-wachte. Und es war die Zeit, in der Eric Clapton, mitten in der Pubertät, aufmuckte und sich lautstark mit den Autoritäten anzulegen begann. Nur mit Mühe schaffte der einst gute Schüler den Abschluss, mit 16 wechselte er auf eine Kunstschule. Dort nervte er alle und jeden und schaffte es, nach nur einem Jahr von der Kingston Art School verwiesen zu werden. Grund: Gitarrespielen während des Unterrichts.
Zur selben Zeit, man schrieb das Jahr 1962, halfen die Großeltern bei der An-schaffung einer halbakustischen Elektrogitarre für zehn Pfund. Eric, der gerade Freddie King, B. B. King und Buddy Guy entdeckt hatte, war nun gerüstet für seinen Weg.

Läppischer Pop

Wenn man Claptons Beteuerungen in seiner Autobiografie „Mein Leben“ (Kiepenheuer & Witsch, 2007) glaubt, dann hatte es seine Umgebung in jenen frühen Jahren mit einem linkischen, übellaunigen Kerl zu tun, arrogant und eitel, der alles niedermachte, was nicht in seinen kleinen Blueskosmos passte. Obendrein hatte er den Alkohol entdeckt und begann sich nun schon mittags zu betrinken. Wegen seiner bereits auffälligen Fertigkeiten an der Gitarre aber fand er Anschluss in der noch embryonalen Londoner Bluesszene.

1963 war das Jahr, in dem die jungen englischen R’n’B-Enthusiasten einen ersten Aufwind verspürten, noch aber hatte keiner eine Vorstellung davon, in welchen Dimensionen sich die Dinge entwickeln würden. Wie alle anderen trieb sich auch Clapton in den Clubs der Themsestadt herum und sah der Konkurrenz auf die Finger. Dabei gab er gern den gestrengen Schulmeister. So bügelte er Paul Samwell-Smith ab, nachdem er ihn auf einer Clubbühne mit dem Metropolis Blues Quartet gehört hatte: „Würdest du mir einen Gefallen tun und aufhören, Leadgitarre zu spielen?“ Ob Samwell-Smith tatsächlich deshalb kurz darauf auf den Bass umsattelte, ist nicht überliefert, wohl aber, dass Clapton bald mit ihm zusammen bei den Yardbirds spielte. Der Rest ist tausendmal erzählte Geschichte aus den frühen Tages des britischen Bluesbooms: Die Yardbirds machten sich einen Namen, und Eric Clapton begann eine ergebene Fangemeinde um sich zu scharen.

Exemplarisch für sein nach wie vor stures Puristentum war das Ende seiner Yardbirds-Zeit. 1965 lehnte es Clapton ab, den von Graham Gouldman ge-schriebenen späteren Einstandshit der Band, ›For Your Love‹, aufzunehmen. Stattdessen schlug er für die betreffende Aufnahmesession ›Your One And Only Man‹ vor, eine schwerblütige Memphis-Soul-Ballade von Otis Redding. Clapton war der Meinung, dass die Nummer einer Bluesband wie den Yardbirds besser zu Gesicht stünde als der in seinen Augen läppische Pop von ›For Your Love‹. Abgesehen davon, dass ›Your One And Only Man‹ kaum zum Hit taugte (schon Reddings Plattenfirma Stax/Volt hatte den Song als zu schwach für eine Singleveröffentlichung befunden): Clapton beharrte eigensinnig auf seinem Standpunkt, so dass ihm Manager Giorgio Gomelsky im Auftrag der genervten Rest-Yardbirds kurz darauf – und nachdem ›For Your Love‹ eingespielt war – den Abschied nahelegte.

2 Kommentare

  1. Ich bin wahrlich kein Anhänger des Personenkults, schon gar nicht der Person wegen, aber bei Clapton zählt für mich nur der Mensch und seine Art wie er sein Instrument die Gitarre für seine einzigartige musikalische Ausdrucksform des Blues benutzt.
    Es gibt was die Technik, die Beherrschung dieses Instrumentes anbelangt bessere, aber nur sehr wenige die die Seele dieser Musik ausdrücken können. Das ist bei Clapton für mich der Fall.
    Den Spirit Blues zu interpretieren ist nur wenigen gegeben. Clapton hat für mich diesen Spirit.

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