Rock-Mythen: Stevie Ray Vaughan – Als der Himmel weinte

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Rock-Mythen: Stevie Ray Vaughan – Als der Himmel weinte

Stevie Ray Vaughan AlbumEntdeckt hatte ihn David Bowie – daraufhin gelang Stevie Ray Vaughan in den 80er-Jahren eine kometenhafte Karriere: Der Texaner brachte den Blues zurück in die Pop-Charts und wurde zum wohl größten Gitarristen seit Jimi Hendrix. Sein Ende war so tragisch wie unerwartet: Am 27. August 1990 kam er bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben.

Es ist der 26. August 1990, und im Alpine Valley Music Theatre geht eine rauschende Sommerparty zu Ende. Eben noch haben hier in East Troy, Wisconsin, fünf Fürsten der elektrischen Gitarre auf der größten Freiluftbühne der USA gestanden: Eric Clapton, Robert Cray, Jimmie Vaughan, Buddy Guy und der Mann, den viele für den begabtesten Gitarristen seiner Generation halten – Stevie Ray Vaughan. Zum Konzertfinale haben sie alle zusammen eine kochende viertelstündige Lesung des Robert-Johnson-Klassikers ›Sweet Home Chicago‹ zelebriert. Frenetischer Applaus. Als sich die Menge anschließend zerstreut, ahnt niemand etwas von der bevorstehenden Katastrophe.

Gerade erst 35 Jahre alt ist Stevie Ray Vaughan an jenem Tag. Hinter sich hat er Tiefen, die man seinem ärgsten Feind nicht wünschen würde, aber auch Triumphe, die all das auf einen Schlag vergessen ließen. Fast immer dabei war dieses ramponierte Stück Holz, Number One, Vaughans Fender Stratocaster, mit abgeblätterter Sunburst-Lackierung und rabenschwarzem Schlagbrett. Für die Rockfans dieser Welt ist das x-mal reparierte Ins­trument längst die unverwechselbare SRV-Gitarre. Nicht nur wegen ihrer einzigartigen Optik, sondern auch wegen des einzigartigen Tons, den ihr Besitzer aus ihr heraus zu kitzeln, zu schlagen, zu quälen und zu zwingen vermag. Gefunden haben sich die beiden 1973 in „Ray’s Heart Of Texas Music Shop“ in Austin. Als der gerade 18-Jährige Number One kauft, steht er am Anfang einer Laufbahn, die ihn zum einflussreichsten Instrumentalisten seiner Zeit und zu einer der letzten großen Ikonen der Rock-Ära machen wird.

Begonnen hat seine Geschichte am 3. Oktober 1954 im Methodist Hospital der texanischen Ölmetropole Dallas. Seit der Junge denken kann, spielt Musik die Hauptrolle. Da ist die elterliche Plattensammlung, die Schätze von T-Bone Walker, Chuck Berry und Lightnin’ Hopkins bereithält, da sind Konzertbesuche bei Fats Domino, Jimmy Reed und dem Western-Swing-Veteran Bob Wills, und da ist die erste Gitarre, die er bereits mit acht Jahren bekommt und auf der er nun rasch all das lernt, was sein drei Jahre älterer Bruder Jimmie bereits kann. Immer wieder spielen die Jungs ihre wenigen 45er-Schallplatten ab, um die Tricks der Großen zu entschlüsseln. Ihre Idole sind die Kings – B. B., Freddie, Albert – und Johnny „Guitar“ Watson, bald darauf dann Beatles, Stones und Kinks.

“Mit seinem kraftvollen, geschmeidigen Spiel, das mühelos die Grenzen zwischen Blues und Rock aufhebt, wird Vaughan praktisch zum neuen Stern am Gitarristen-Firmament.”

Zum Ende der 60er-Jahre wird Stevie Ray allmählich flügge. 1970 ein Schlüsselerlebnis: Während er als Tellerwäscher in einem Burger-Restaurant ein paar Dollar Taschengeld verdient, fällt er bei Reinigungsarbeiten in ein Fass mit Fett. Bis zum Hals sitzt der 15-Jährige im Dreck, flucht und be­­schließt, sich nur noch um seine Musik zu kümmern. Ein Jahr später verlässt er die Highschool und folgt seinem Bruder nach Austin. Vor ihm liegen harte Lehr- und Wanderjahre. Ein ganzes Jahrzehnt lang wird er sich nun bei ungezählten Clubauftritten Routine erwerben, sein Repertoire erweitern und seinen ganz eigenen Stil ausarbeiten. Schon mit Anfang 20 glaubt er sich reif für den großen Ruhm und muss sich doch gedulden – sein Blues ist in Zeiten von Punk und Disco kaum gefragt. Erst als er 1980 in seiner Band das Mikrofon übernimmt und ihr den neuen Namen Double Trouble gibt, geht es vorwärts.

Bis zu den Rolling Stones spricht sich Stevies Ruf als exzellenter Bluesgitarrist herum, in New York lässt Mick Jagger ihn auf einer Party spielen. Von dort wird er ins schweizerische Montreux vermittelt, wo er 1982 als erster ungesignter Musiker beim re­­nommierten Jazz Festival auftritt. Ein Gig mit Folgen: Im Publikum stehen auch David Bowie und Jackson Browne. Beide sind begeistert. Ersterer lädt Vaughan ein, die Gitarrenspuren für sein nächstes Album LET’S DANCE einzuspielen, und Browne bietet Double Trouble unbegrenzte Aufnahmezeit in seinem Downtown Studio in Los Angeles. Jetzt geht plötzlich alles wie von selbst: Der legendäre Talentscout John Hammond Sr., der schon Benny Goodman, Billie Holiday und Bob Dylan entdeckt hat, besorgt ihm einen Plattenvertrag beim Columbia-Label, und Bowie landet mit den von Vaughan eingespielten Songs ›Let’s Dance‹ und ›Chi­na Girl‹ Monsterhits. Im Sommer 1983 erscheint das Double-Trouble-Debüt TEXAS FLOOD – überraschend wird es zum Bestseller. Mit seinem kraftvollen, geschmeidigen Spiel, das mühelos die Grenzen zwischen Blues und Rock aufhebt, wird Vaughan praktisch über Nacht zum neuen Stern am Gitarristen-Firmament. Es folgen die grandiosen Alben COULDN’T STAND THE WEATHER und SOUL TO SOUL, dazu eine Welttournee nach der anderen.

Und der private Absturz: Whiskey und Kokain laugen den Musiker aus, er verliert den Halt, seine Ehe geht in die Brüche, 1986 dann während eines Konzerts in Ludwigshafen der Zusammenbruch auf offener Bühne. Notbremse, Entzugsklinik, Auszeit. Aber Vaughan kommt wieder. 1989 veröffentlicht er mit IN STEP sein Grammy-gekröntes Meisterwerk. Im Frühjahr 1990 nimmt er dann endlich auch das lange geplante ge­­meinsame Album mit Bruder Jimmie auf. Er ist jetzt 35 Jahre alt, ganz oben, und er sitzt endlich fest im Sattel.

Dann kommt der 26. August. Nach dem Konzert wollen die Musiker und ihre Crews so schnell wie möglich zurück ins Hotel nach Chicago. Drei Helikopter stehen bereit. In einem davon sind drei Plätze reserviert für Stevie Ray, Jimmie und dessen Frau Connie. Tatsächlich ist in der Ma­­schine vom Typ Bell 206 B Jet Ranger jedoch nur noch ein Platz frei. Jimmie und Connie überlassen ihn Stevie. Es ist etwa ein Uhr in der Nacht, als der Hubschrauber abhebt. In einer flachen Kurve verschwindet er im dichten Nebel. Der ortsunkundige Pilot Jeff Brown weiß nicht, dass er die Maschine direkt in Richtung eines künstlich aufgeschütteten, etwa 100 Meter hohen Skihügels steuert. Es geschieht, was geschehen muss: Nach einem knappen Kilometer zerschellt der Jet Ranger 15 Meter unterhalb des Gipfels. Keiner der Insassen hat beim Aufprall auch nur den Hauch einer Chance, alle Passagiere sind auf der Stelle tot. Erst am nächsten Morgen werden die Trümmer gefunden. Mit Vaughan sterben Pilot Brown, Claptons Tourmanager Colin Smythe, sein Booker Bobby Brooks sowie der Bodyguard Nigel Browne.

Bei der Trauerfeier am 31. August 1990 im Laurel Land Memorial Park in Oak Cliff, Dallas, erweisen Stevie neben Bruder Jimmie auch Stevie Wonder, Buddy Guy, Dr. John, Bonnie Raitt, Jackson Browne und Nile Rodgers die letzte Ehre. Im Herbst 1991 dann bringt Jimmie Vaughan unveröffentlichte Aufnahmen seines Bruders heraus, Titel: THE SKY IS CRYING. Weiß Gott, der Himmel weinte.

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