Rock-Mythen: Lynyrd Skynyrd – Southern Shock

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Rock-Mythen: Lynyrd Skynyrd – Southern Shock

Es war einer der traurigsten Tage in der Geschichte der Popmusik: Am 20. Oktober 1977, stürzten die Southern-Rocker Lynyrd Skynyrd während einer US-Tournee mit dem Flugzeug ab – drei Bandmitglieder, der Roadmanager und die beiden Piloten starben.

Der 20. Oktober 1977 ist ein Donnerstag. Am späten Nachmittag steuert Pilot Walter W. McCreary die zweimotorige Maschine vom Typ Convair CV-300 in Richtung der bald untergehenden Sonne. Etwa zweieinhalb Stun­den zuvor ist das Flugzeug in Green­ville, South Carolina, gestartet, noch knapp 50 Meilen sind es bis Baton Rouge, Louisiana. 26 Personen, darunter Musiker und Crew von Lynyrd Skynyrd, sind an Bord. Dieser Flug soll der letzte mit der museumsreifen Maschine sein. Das Vertrauen der Musiker in die 30 Jahre alte Convair ist erschüttert, schon am Tag zu­­vor waren aus einem der Motoren riesige Flammen geschossen. Jetzt ist laute Musik an Bord zu hören, dazu Gläserklirren und Lachen. Das aber wird den Passagieren gleich vergehen.

1964, mehr als zehn Jahre zuvor, hatte die Geschichte von Lynyrd Skynyrd in Jacksonville, Florida, begonnen. Wie so viele seiner Kumpels war auch Ronald Wayne Van Zant rettungslos den Rolling Stones verfallen. An der Schule fand der 16-Jährige Gleichgesinnte, darunter Gary Rossington, Bob Burns und Allen Collins. Mit ihnen gründete er eine Band, The Noble Five. In den folgenden Jahren kämpften sich die Jungs hartnäckig nach oben, wurden allmählich zu Lokalhelden. 1969 dann der Namenswechsel – Lynyrd Skynyrd ist eine Verballhornung von Leonard Skinner, dem ehemaligen Sportlehrer der Musiker an der Robert E. Lee High School.

Ab jetzt geht es vorwärts: Schon das erste Album, PRONOUNCED ‘LEH-‘NERD ‘SKIN-‘NERD (1973) und produziert von Al Kooper, lieferte Klassiker wie ›Free Bird‹, ›Tuesday‘s Gone‹ und ›Simple Man‹, und spätestens mit ›Sweet Home Alabama‹ vom zweiten Album SECOND HELPING (1974) hatten Van Zandt und die Seinen einen Platz in der ersten Liga des US-Rock erobert. Auch weil sie längst zu den besten Live-Bands weit und breit zählten. Im Herbst 1977 stehen bereits vier Studioalben und der Livemitschnitt ONE MORE FROM THE ROAD in der Bilanz. Am 17. Oktober 1977 erscheint das von Tom Dowd produzierte STREET SURVIVORS, mit ihrem knorrigen und dennoch virtuosen Southern Boogie sind Lynyrd Skynyrd nun drauf und dran, zu Superstars aufzusteigen.

Drei Tage nach der Veröffentlichung des Albums aber ist alles vorbei – zu­­rück an Bord der Convair: Der rechte Motor beginnt zu stottern, kurz darauf fällt er ganz aus. Stille. Erschrocken sehen die Insassen hinaus auf den Flügel. Wenig später hören sie ein ge­­schocktes „Oh, mein Gott!“ aus dem Cockpit. Hektisch weist Copilot Bill Gray die Passagiere an, sich anzuschnallen. Eine Notlandung ist nicht zu vermeiden. Die Bäume des unter der Maschine dahinrasenden Sumpfes kommen näher.

Um exakt 18.47 Uhr geschieht es. Keyboarder Billy Powell wird später zu Protokoll geben: „Es war ein Lärm, als würde jemand die Außenhaut des Flugzeugs mit Hunderten von Baseballschlägern traktieren. Ich krachte in einen Tisch. Leute wurden von Gegenständen getroffen, die kreuz und quer durch den Passagierraum flogen. Das Dach des Flugzeugs wurde abgerissen.“

Sekunden später: gespenstische Stille, hier und da nur das leise Stöhnen der Verletzten. Zwischen abgerissenen Wrackteilen, Einrichtungsgegenständen, Gepäckstücken und Gitarrenkoffern glänzen im dämmrigen Grün des Waldes großformatige Promotionfotos. Powell und Drummer Artimus Pyle, beide schwer verletzt, retten sich mühsam ins Freie.

An der Absturzstelle bietet sich ein grausiges Bild. Copilot Gray hängt in einem Baum, ohne Kopf. Roadmanager Dean Kilpatrick ist ebenfalls tot, ein großes Wrackteil steckt in seinem Rücken. Bassist Leon Wilkeson wimmert vor Schmerz. Sein Kiefer, das linke Bein und der linke Arm sind ge­­brochen, dazu ist seine Brust ge­­quetscht und seine Lunge verletzt. Unter den Verletzten im Wrack ist auch Gitarrist Gary Rossington. Seine Arme und Beine sind gebrochen, dazu hat er jede Menge Prellungen und eine schwere Gehirnerschütterung.

Sein Kollege, der hochgewachsene Gitarrist Allen Collins, trägt schwere Rückenverletzungen davon, zwei Halswirbel sind gebrochen. Ein Metallteil steckt in seinem Arm, die Folge: ein komplizierter Bruch und Knochenabsplitterungen.

Lynyrd Skynyrd Flugzeugwrack
Der Unglücksort von Lynyrd Skynyrd

Auch Backgroundsängerin Leslie Ann Hawkins ist lebensgefährlich verletzt. Sie hat einen dreifachen Halswirbelbruch erlitten, und ihr zerschnittenes Gesicht kann später nur durch aufwendige plastische Operationen wiederhergestellt werden. Sänger Ronnie Van Zant hängt in seinem Sitz. Äußerlich wirkt er völlig unversehrt, nur ein „münzgroßer Bluterguss an seiner Schläfe“ ist zu sehen, so erinnert sich später Artimus Pyle. Van Zandt aber ist tot. So wie auch Gitarrist Steve Gaines und seine Schwester, die Backgroundsängerin Cassie Gaines. Ihre beiden Körper – auch der von Pilot McCreary – sind grauenhaft verstümmelt.

Die späteren Untersuchungen können die Absturzursache nicht restlos aufklären. Fest steht, dass der Pilot wenige Augenblicke vor dem Unglück „Probleme mit dem Treibstoff-Vorrat“ meldete, woraufhin ihn die zuständige Flugsicherung anwies, einen nahegelegenen Flugplatz in McComb anzufliegen. Im offiziellen Abschlussbericht des U.S. National Transportation Safety Board, Wash­ington DC, vom 19. Juni 1978 wird als Unfallursache eine „Disfunktion unbestimmter Ursache im rechten Motor mit der Folge erhöhten Treibstoffverbrauchs“ festgestellt. Das erklärt, wa­­rum der Maschine trotz vermeintlich ausreichender Vorräte der Sprit ausgegangen war. Menschliches Versagen soll laut Bericht insofern mitverantwortlich für das Unglück sein, als die Piloten den Treibstoffverbrauch falsch einschätzten.

Erst zehn Jahre nach dem tragischen Ende der Band reformieren die Überlebenden Lynyrd Skynyrd. Das Mikrophon übernimmt Johnny Van Zandt, der jüngste Bruder von Ronnie. 1990 stirbt Gitarrist Allen Collins, der seit einem Autounfall gelähmt war und daher bei der Reunion der Band nicht mit von der Partie sein konnte. 2001 erwischt es Bassist Leon Wilkeson, Billy Powell folgt den beiden 2009.

Zwar konnten Lynyrd Skynyrd nie an die großen Erfolge der klassischen Besetzung anknüpfen, aber bis heute tourt die Band erfolgreich, bringt gelegentlich ein Album heraus und be­­greift sich in erster Linie als Botschafter und Bewahrer des großen Erbes, das die Originalband hinterlassen hat. Gary Rossington, inzwischen 65 Jahre alt, ist das letzte überlebende Mitglied der ersten Stunde. Er sagt: „Wir sind noch immer hier und erhalten die Musik am Leben. Wir wollen den Namen Lynyrd Skynyrd in Ehren halten und dafür sorgen, dass die Jungs, leider die nicht mehr bei uns sind, stolz auf uns sein können.“

Lynyrd Skynyrd in klassischer Besetzung mit ›Sweet Home Alabama‹ live im Sommer 1977:

1 Kommentar

  1. Kleine Ergänzung meinerseits: Eigentlich hätte auch die schottische Rockband “Nazareth” an Bord sein sollen, die von Lynyrd Skynyrd zum Mitflug eingeladen wurden ( beide waren gemeinsam auf Tour ).Da Nazareth aber noch einen wichtigen Pressetermin hatten mussten sie den Mitflug absagen, was ihnen das Leben rettete.

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